Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 175
Reichsgewalt zum Triumphe zu verhelfen sucht. Es ist darum völliger Blöd-
finn, von einem Deutschland unter Preußens Führung etwas für die Kirche,
für die Wiederherstellung einer christlichen Staatsordnung zu erwarten. Die
ganze geschichtliche Entwickelung Preußens kennzeichnet eine solche Anschauung
als unverzeihlichen Irrthum. Das „Neich“ in seiner dermaligen Gestalt ist
nichts Anderes, als die concrete politische Darstellung der letzten Phase des
Prolestantismus, des Aufruhrs der Völker gegen Golt, und so gewiß es ist,
daß diese letzte Phase keine Zukunft hat, ebenso gewiß ist es, daß mit ihr
auch das „deutsche Reich“ unter Preußens Führung ins Grab sinken wird.
Die Kirche aber wird das Grab zudecken und über dem Grabeshügel ein neues,
mächtiges deutsches Reich unter christlicher Führung und mit christlichen Ge-
schen aufbauen helfen. Die allmälige Herbeiführung der gegenwärtigen poli-
tischen Machtstellung Preußens ist eine Reihe von Attentaten auf die göttliche
und menschliche Rechtsordnung; das dermalige „Reich“ steht darum thatsächlich
und seinem ganzen geschichtlichen Ursprunge nach auf dem Boden der Nevo-
lution, unter deren fortwährender Beihilfe es geschaffen wurde. Hieraus folgt,
daß die Bismarckische Schöpfung schon in ihrer Entstehung, weil jeder Rechts-
basis entbehrend, vom Standpunkt der natürlichen wie der christlichen Moral
aus zu verwerfen ist. Zum gleichen Schlusse gelangt man, wenn man die
seitherige Entwickelung des „Reiches“ in Betracht zieht; diese ist antichrifllich
und revolutionär. Man überblicke einmal die anderthalbjährige neue Reichs-
geschichte von der ersten Eröffnung des Reichstages angefangen bis zur Aus-
führung des Jefsuitengesetzes und halte Umschau über die reichsgesetzlichen Akte
und Thaten, und dann sage man uns, ob das „Reich“ in seiner Entfaltung
nicht genau seinem Ursprunge entspricht, ob es sich nicht als ein Reich der
Gewalt, des Despotismus und der Empörung gegen die christliche Weltord-
nung vor Aller Augen entpuppt hat, ob die neue Reichsfahne nicht die Fahne
des modernen Liberalismus ist, welcher mit dem „Reiche“ sich identificirt und
unter dessen Fittigen und von ihm gestärkt, ermuntert und beschützt, den Ver-
nichtungskampf gegen die Kirche und das Christenthum aufnimmt? Will
man aufrichtig sein und für die Wahrheit Zeugniß ablegen, so muß man
dies zugestehen und dem Satze beipflichten: das gegenwärtige „deutsche Reich
in seiner bisherigen Entwickelung ist ein Reich des religiösen und politischen
Umsturzes und schreitet geraden Weges darauf los, den „modernen Staat“,
den Staat der Freimaurerei, mit allen seinen Ungeheuerlichkeiten zur vollen
Verwirklichung zu bringen. Das ist der Anblick, welchen das neue „Reich“,
näher betrachtet, gewährt, das der Eindruck, den es auf jeden unbefangenen
Beobachter hervorbringt. Und ein solches Reich sollen wir lieben, ihm unsere
Sympathien entgegentragen, für seine Erhaltung und Fortentwicklung thätig
sein : Nein, dazu wird uns Niemand vermögen. Ein Gebäude, welches auf
völlig morscher Grundlage ruht, eine Pflanzung, die schon in der Wurzel
vergiftet ist, ein Reich, dessen Ursprung und Entwickelung ein Angriff auf die
göttliche und menschliche Ordnung ist, verdient unsere Liebe, unsere Unter-
stützung nicht. Die Pflichten, die wir dem „Reiche“ gegenüber haben, sind
fast nur negativer Natur und lassen sich in die Worte zusammenfassen: nicht
revoltiren, sondern das Unglück mit Geduld ertragen, bis der Herr die Zucht-
ruthe wieder hinwegnimmt und einer besseren Ordnung Platz macht. Das
neue „Reich“ besitzt keine Lebensfähigkeit, es ist ein todtgebornes Kind, das
gar bald wieder in das Grab zurücksinken wird. Denn nimmermehr läßt sich
mit Kanonen und Zündnadelgewehren, also mit roher Gewalt, auf die Dauer
ein Staatskörper zusammenhalten und namentlich dann nicht, wenn diese
Kanonen und Zündnadelgewehre gegen das Herz der Kirche, dieser von Gott
selbst gepflanzten Säule aller Rechtsordnung, gerichtet sind. Ein solcher Körper
muß naturgemäß auseinanderfallen. Jene, welche sich schmeicheln, „reichstreu"
zu sein, glauben dieß nicht; obwohl höchlich unzufrieden mit dem Reiche,
halten sie doch die bisherigen Auswüchse mehr für zufällige Eitergeschwüre,