Das deutsche Reich und seine einjelnen Slieder. 177
2. Sept. (Preußen.) Ein Schreiben des. Kaisers an den Bischof von
Ermeland erklärt demselben auf seine Anfrage sehr bestimmt, daß Se.
Majestät eine Loyalitätsadresse des Bischofs und seines Clerus gelegent-
lich der Marienburger Säcularfeier für die Vereinigung Westpreußens
mit der Monarchie nur unter der Bedingung entgegen nehmen könne,
daß der Bischof vorher erkläre, „daß er gewillt sei, den Staatsgesetzen
in vollem Umfange Gehorsam zu leisten."“
Von dem Schreiben des Kaisers ist nur eine Analyse veröffentlicht worden.
Der Bischof von Ermeland hatte unterm 22. Aug. bei Sr. Maj. in Betreff
der Theilnahme an der Marienburger Feier angefragt. Der Bescheid des
Kaisers knüpft indeß nicht an diese Anfrage, vielmehr an die Vorstellung des
Bischofs vom 15. Juni d. J. an, worin derselbe die Antwort vorgelegt, welche
er an den Cultusminister gerichtet hatte. Se. Maj. gebe einen neuen, weit
gehenden Beweis landesväterlichen Sorgens um die Erhaltung des Friedens
zwischen Staat und Kirche in der Aufforderung, welche der Kaiser, bevor
weitere Entschließung in der Angelegenheit getroffen werde, gegenwärtig dem
Bischof an das Herz lege. Das Schreiben, welches der Letztere am 30. März
d. J. an den Cultusminister gerichtet, habe die Regierung in die Nothwen-
digkeit versetzt, von dem Bischof ein ausdrückliches Anerkenntniß der vollen
Souveränctät des Staats in zweifelloser Gestalt zu sordern. In der Antwort,
die dem Kaiser vorgelegt worden, sei indessen nicht die von der Regierung er-
waricte Zusage, die Landesgesetze in ihrem vollen Umfange befolgen zu wollen,
sondern die Erklärung einer Anerkennung „der staatlichen Souveränetät
des Staats“ enthalten. Mit diesem Satze werde der Souveränetät des Mo-
narchen in seinen Landen eine andere Souveränetät, als welche nur die kirch-
liche gedacht werden könne, gegenübergestellt, damit aber die Grundlage ver-
schoben, auf welcher das Verhältniß zwischen Staat und Kirche in der preu-
ßhischen Monarchie verfassungsmäßig geregelt sei. Die Beseitigung des hier-
nach bestehenden tiefgreifenden Gegensatzes zwischen der Regierung und dem
Bischof sei Voraussetzung für den Ausgleich der vorhandenen Differenzen und
für die Fernhaltung ihrer Entwicklung zu ernsten Consequenzen. Nur durch
eine anderweite Erklärung von Seiten des Bischofs könne der Gegensatz be-
seitigt werden. Die wiederholte Versicherung des Bischofs, daß er sich seiner
eidlich gelobten Pflicht, der Treue und des Gehorsams gegen Se. Moj. ebenso
bewußt sei, wie seiner Ubrigen staatsbürgerlichen Pflichten, und das ausdrück-
lich bekundete Streben nach einer Verständigung lasse den Kaiser hoffen, keinen
fruchtlosen Schritt zu thun, indem nun auch er den Bischof auffordere,
rückhaltlos zu erklären, daß er gewillt sei, den Staatsgesetzen
in vollem Umfange Gehorsam zu leisten. Wenn der Bischof dieser
Aufforderung entsprochen habe, dann werde der Kaiser bei der Erinnerungs-
seier der Vereinigung der dortigen Landestheile mit seiner souveränen Krone
mit Freuden die Gefinnungen der Treue und Ergebenheit, welche den ermlän-
dischen Clerus unverändert beseelten, durch den Bischof bestätigen hören. Im
anderen Falle werde diese Bestätigung durch Wort und Schrift zwar auch zu
des Kaisers hoher Genugthuung gereichen, aber aus dem Munde des Bischofs
und aus seiner Hand werde er dieselbe nicht entgegennehmen können.
3.— 11. Sept. Dreikaiser-Zusammenkunft in Berlin gelegentlich der großen
preußischen Herbstmannöver in der Umgegend der Stadt. Der
Reichskanzler kehrt dazu von Varzin zurück; die Kaiser von Oester-
reich und Rußland sind gleichfalls von ihren Ministern des Aus-
wärtigen, Graf Andrassy und Fürst Gortschakoff begleitet. Zwischen
den leitenden Ministern finden vielfache Conferenzen statt. Etwas
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