Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

178 Das deutsche Reich und seine einzelnen Elieder. 
Schriftliches wird indeß, wie von allen Seiten versichert wird, nicht 
ausgemacht. 
Die öffentliche Meinung ist darüber einig, in der Zusammenkunft theils 
eine erneuerte Anerkennung der durch den deutsch-französischen Krieg so gründ- 
lich verschobenen Machtverhältnisse und einen verständlichen Wink an Frank- 
reich, daß es für seine Revanchegelüste und allfällige Allianzen dazu vorerst 
keinerlei Aussicht habe, namentlich nicht von Seite Rußlands, theils eine An- 
näherung zwischen Rußland und Oesterreich zu sehen, welche letztere nur mög- 
lich ist, wenn Rußland entschlossen sei, die orientalische Frage vorerst entschieden 
ruhen zu lassen. 
3.— 11. Sept. (Hessen.) Der bisherige hessische Bevollmächtigte im Bun- 
desrath Leg.-R. Hofmann wird mit der Neubildung des Cabinets beauf- 
tragt. Der definitive Bruch mit dem Dalwigk'schen System ist damit 
ausgesprochen: der Minister v. Lindelof und der Staatsrath Franck, 
die Träger des bisherigen Systems, suchen deßhalb um ihre Pensio- 
nirung nach. 
4. Sept. (Deutsches Reich.) Ein Erlaß des deutschen Kaisers verfügt 
provisorisch eine sehr wesentliche Vermehrung der Artillerie auf den 
1. November, die definitive Entscheidung muß dem Reichstage vorbe- 
halten bleiben. 
„ (Preußen.) Eine lutherische Conferenz in Kammin will der 
evangelischen Kirche das Recht der Excommunication wahren, indem 
sie beschließt: 
.„Das Recht, die Kirche zu verlassen, steht Jedem frei; in Preußen ist die 
Form dafür geordnet durch Gesetz von 1847. So ist auch der Kirche das 
Recht von ihrem Stifter eingestiftet, Glieder von sich auszuschließen. Math. 8, 
17, 18. „Wer und wo staatliche Gesetze das Recht stören oder zerstören, 
da bedürfen sie einer Abänderung.“ 
„ „ (Elsaß-Lothringen.) Auch in Straßburg wird die dortige Je- 
suitenniederlassung aufgehoben. « 
5. „ (Preußen.) Der Bischof von Ermeland antwortet dem Kaiser 
auf sein Schreiben vom 2. d. und entspricht der Forderung desselben 
nur in den Worten, nicht aber in der Sache, indem er neuerdings 
zwar die volle Souveräuetät der weltlichen Obrigkeit anerkennen will 
auf „staatlichem" Gebiete, aber eben nur auf diesem, und dagegen 
der Kirche und selbstverständlich dem infallibeln Papst das Recht re- 
servirt das Gebiet der Kirche selber zu definiren, d. h. das Gebiet 
des Staats nach ihrem Ermessen willkürlich einzuschränken. 
„Ew. kaiserl. und königl. Majestät möge die Versicherung entgegenehmen, 
daß ich durch meine in dem Schreiben vom 15. Juni l. J. an den Herrn 
Cultusminister enthaltene Betheuerung meiner Anerkennung der vollen staat- 
lichen Souveränetät des Staates irgend eine Beschränkung der Souveräne- 
tätsrechte desselben auf seinem Gebiete oder des aus denselben resultirenden 
schuldigen Gehorsams gegen die Landesgesetze weder intendirt, noch auch, wie 
ich glaube, ausgesprochen habe. Um jedoch der wohlmeinenden Aufforderung 
Ew. Majestät zu entsprechen und jedes Mißverständniß zu beseitigen, erkläre 
ich hiermit gern und rückhaltlos: 1) daß ich die volle Souveränctät der welt- 
lichen Obrigkeit auf staatlichem Gebiet anerkenne; 2) daß ich eine andere 
 
	        
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