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Das deutsche Reich und seine einzelnen Elieder.
New-York hebt die Sympathie vieler amerikanischer Katholiken hervor; das-
selbe äußert der anglikanische Geistliche Langdon aus Florenz hinsichtlich
Italiens. Professor v. Schulte aus Prag constatirt den herzlichen Ton der
Versammlung, welcher sich auch bei den Versammlungen bekunden möge. Vor
Schluß der Versammlung trifft auch noch der Techant von Westminster
(London) ein. In der ersten öffentlichen Versammlung wirft Prof.
Huber (Bayern) einen Rückblick auf das vergangene Jahr: es ist ein Jahr
von wechselvollen Schicksalen, ein Jahr eines auf= und niederwogenden Kampfes,
in welchem viele Siege gewonnen worden sind, in welchem es aber auch nicht
an Enttäuschung mangelt. Auf dem Gebiete der gesammten öffentlichen
Meinung ist unser Feind überall geschlagen; es gibt keinen denkenden Menschen,
welcher den Beschlüssen Rom's, die man uns aufzudrängen versuchte, gläubig
sich hingäbe. Und nicht bloß in den gebildeten Kreisen, nicht bloß in den
Städten, sondern auch unten in den Schichten des Volkes, auf dem Lande,
macht sich ein nagender Zweifel an der Wahrhaftigkeit der römischen Hierarchie
mehr und mehr geltend. Aber nicht bloß diese rein negative Bewegung geht
durch das Volk, sondern auch eine positive. Die religiöse Frage ist in den
Vordergrund der öffentlichen Discussion getreten; die besten und ernstesten
Geister der Nation beschäftigen sich mit derselben. Und alle diese ernsten Ge-
mülther, alle diese tief denkenden Geister, welche sich mit den Fragen über die
Principien beschäftigen, welche die Grundlagen des menschlichen Daseins sind,
werden uns eben so viele Bundesgenossen. Seit zwei Jahren ist die deutsche
Nation genöthigt, Theologie zu studiren, wie vielleicht niemals seit den Zeiten
der Reformation. Das Buch der Kirchengeschichte wird vor dem Volke auf-
geschlagen. Wir lernen die Ursachen der Trennungen kennen, die das Herz
der Christenheit zerreißen. Und indem wir erkennen müssen, es sind mensch-
liche Leidenschaften und viel voreiliger Irrthum, die diese falschen Trennungen
gemacht haben, regt sich in uns allen ein positiver Geist der Versöhnung.
In der zweiten öffentlichen Sitzung nimmt zuerst Dr. Winkler aus
Luzern das Wort und sucht zu erklären, weßhalb die altkatholische Bewegung
in der Schweiz bisher so wenig Verbreitung gefunden; der Hauptgrund liegt
darin, daß von Seiten der Bischöfe keine Versuche gemacht würden, die vati-
canischen Neuerungen durchzuführen. Prof. Friedrich aus München: Das
ohne Rom gegründete deutsche Reich unter einer protestantischen Dynastie werde
den politischen Einfluß Rom's nicht #ieder aufkommen lassen. Mit diesen
großen politischen Ereignissen falle der Beginn einer bedeutungsvollen kirchlichen
Bewegung zusammen. Eine Reform, wie sie jetzt unabweisbar sei, werde nicht
von Nom ausgehen. Das Verhalten der Bischöfe habe auf die Bahn der
Reform gedrängt; es handle sich nicht bloß um die Bekämpfung der päpst-
lichen Unfehlbarkeit, sondern des ganzen Papalsystems, welches sich seit einem
Jahrtausend ausgebildet. Redner verliest unter lautem Beifall den gegen die
Auswüchse des Ablaßwesens, der Heiligenverehrung 2c. gerichteten §. der
Delegirtenbeschlüsse, wodurch eine richtige Reform angebahnt werde. Weitere
Reformen seien der Zukunft vorbehalten worden. Man habe speciell die Ab-
änderung der Gesetze über Cölibat und Ohrenbeichte als nöthige Reformen
bezeichnet. Zu derartigen Beschlüssen sei der Congreß nicht berechtigt. Das
müsse Synoden vorbehalten bleiben. Andere wünschenswerthe Reformen seien
die Einführung der Volkssprache beim Gottesdienste, eine Aenderung bezüglich
der Firmung, die in der alten Zeit von dem Priester in Verbindung mit der
Taufe gespendet worden sei, die Aufhebung derjenigen Orden, die sich Überlebt
und die in der Kirche keine segensreiche Wirksamkeit mehr Übten, Franziskaner,
Karmeliter, Jesuiten 2c. Prof. Maaßen aus Wien betrachtet die Stellung
der preußischen Regierung gegenüber dem Unfehlbarkeitsdogma. Dieselbe
scheine die Ansicht zu haben, die vaticanischen Decrete sollten zwar aus dem
Staatsgebiete keine Wirkung haben, aber sie seien nun einmal von Papst und
Bischöfen declarirt worden, und wo diese, da sei die katholische Kirche. Sie