Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

190 
Das deutsche Reich und seine einzelnen Elieder. 
New-York hebt die Sympathie vieler amerikanischer Katholiken hervor; das- 
selbe äußert der anglikanische Geistliche Langdon aus Florenz hinsichtlich 
Italiens. Professor v. Schulte aus Prag constatirt den herzlichen Ton der 
Versammlung, welcher sich auch bei den Versammlungen bekunden möge. Vor 
Schluß der Versammlung trifft auch noch der Techant von Westminster 
(London) ein. In der ersten öffentlichen Versammlung wirft Prof. 
Huber (Bayern) einen Rückblick auf das vergangene Jahr: es ist ein Jahr 
von wechselvollen Schicksalen, ein Jahr eines auf= und niederwogenden Kampfes, 
in welchem viele Siege gewonnen worden sind, in welchem es aber auch nicht 
an Enttäuschung mangelt. Auf dem Gebiete der gesammten öffentlichen 
Meinung ist unser Feind überall geschlagen; es gibt keinen denkenden Menschen, 
welcher den Beschlüssen Rom's, die man uns aufzudrängen versuchte, gläubig 
sich hingäbe. Und nicht bloß in den gebildeten Kreisen, nicht bloß in den 
Städten, sondern auch unten in den Schichten des Volkes, auf dem Lande, 
macht sich ein nagender Zweifel an der Wahrhaftigkeit der römischen Hierarchie 
mehr und mehr geltend. Aber nicht bloß diese rein negative Bewegung geht 
durch das Volk, sondern auch eine positive. Die religiöse Frage ist in den 
Vordergrund der öffentlichen Discussion getreten; die besten und ernstesten 
Geister der Nation beschäftigen sich mit derselben. Und alle diese ernsten Ge- 
mülther, alle diese tief denkenden Geister, welche sich mit den Fragen über die 
Principien beschäftigen, welche die Grundlagen des menschlichen Daseins sind, 
werden uns eben so viele Bundesgenossen. Seit zwei Jahren ist die deutsche 
Nation genöthigt, Theologie zu studiren, wie vielleicht niemals seit den Zeiten 
der Reformation. Das Buch der Kirchengeschichte wird vor dem Volke auf- 
geschlagen. Wir lernen die Ursachen der Trennungen kennen, die das Herz 
der Christenheit zerreißen. Und indem wir erkennen müssen, es sind mensch- 
liche Leidenschaften und viel voreiliger Irrthum, die diese falschen Trennungen 
gemacht haben, regt sich in uns allen ein positiver Geist der Versöhnung. 
In der zweiten öffentlichen Sitzung nimmt zuerst Dr. Winkler aus 
Luzern das Wort und sucht zu erklären, weßhalb die altkatholische Bewegung 
in der Schweiz bisher so wenig Verbreitung gefunden; der Hauptgrund liegt 
darin, daß von Seiten der Bischöfe keine Versuche gemacht würden, die vati- 
canischen Neuerungen durchzuführen. Prof. Friedrich aus München: Das 
ohne Rom gegründete deutsche Reich unter einer protestantischen Dynastie werde 
den politischen Einfluß Rom's nicht #ieder aufkommen lassen. Mit diesen 
großen politischen Ereignissen falle der Beginn einer bedeutungsvollen kirchlichen 
Bewegung zusammen. Eine Reform, wie sie jetzt unabweisbar sei, werde nicht 
von Nom ausgehen. Das Verhalten der Bischöfe habe auf die Bahn der 
Reform gedrängt; es handle sich nicht bloß um die Bekämpfung der päpst- 
lichen Unfehlbarkeit, sondern des ganzen Papalsystems, welches sich seit einem 
Jahrtausend ausgebildet. Redner verliest unter lautem Beifall den gegen die 
Auswüchse des Ablaßwesens, der Heiligenverehrung 2c. gerichteten §. der 
Delegirtenbeschlüsse, wodurch eine richtige Reform angebahnt werde. Weitere 
Reformen seien der Zukunft vorbehalten worden. Man habe speciell die Ab- 
änderung der Gesetze über Cölibat und Ohrenbeichte als nöthige Reformen 
bezeichnet. Zu derartigen Beschlüssen sei der Congreß nicht berechtigt. Das 
müsse Synoden vorbehalten bleiben. Andere wünschenswerthe Reformen seien 
die Einführung der Volkssprache beim Gottesdienste, eine Aenderung bezüglich 
der Firmung, die in der alten Zeit von dem Priester in Verbindung mit der 
Taufe gespendet worden sei, die Aufhebung derjenigen Orden, die sich Überlebt 
und die in der Kirche keine segensreiche Wirksamkeit mehr Übten, Franziskaner, 
Karmeliter, Jesuiten 2c. Prof. Maaßen aus Wien betrachtet die Stellung 
der preußischen Regierung gegenüber dem Unfehlbarkeitsdogma. Dieselbe 
scheine die Ansicht zu haben, die vaticanischen Decrete sollten zwar aus dem 
Staatsgebiete keine Wirkung haben, aber sie seien nun einmal von Papst und 
Bischöfen declarirt worden, und wo diese, da sei die katholische Kirche. Sie 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.