Das deutsche Reich und seine einzelnen Elieder. 191
verlange nun von den Bischöfen die ausdrückliche Anerkennung der Souverä-
netät des Staales; eine solche wäre aber bei Bischöfen, die das Dogma an-
genommen, ein protestatio facto contraria und darum ungiltig. Wenn die
Regierung die Jesuiten ausweise, so sei das eine Inconsequenz, so lange sie
den unfehlbaren Papst selbst und die von ihm abhängigen Bischöfe anerkenne.
Der Staat müsse erklären: er könne die Gemeinschaft, die das vaticanische
Dogma anerkenne, nicht mehr als die katholische Kirche ansehen, weil durch
das neue Dogma der Glaube geändert worden. Wer von dem Staate die
Erfüllung der Verpflichtungen fordere, die er gegenüber der katholischen Kirche
eingegangen, der müssse sich als katholische Kirche legitimiren; das könnten jetzt
Papst und Bischöfe nicht, weil sie den alten katholischen Glauben verlassen.
Eine entschiedene Stellung nehme der Staat bis jetzt noch nicht ein, weniger
aus juristischen Bedenken, als aus Furcht vor den Gefahren eines Kampfes
mit der katholischen Kirche. Aber es handelt sich gar nicht um einen Kampf
mit der katholischen Kirche, und zwischen der vaticanischen Kirche und dem
Staate sei der Kampf längst entbrannt. Der preußischen Regierung habe bis
jetzt auf diesem Gebiete ein Moltke gefehlt; in Hrn. v. Schulte könne sie einen
solchen finden. Professor Reinkens: Die Gegner wünschten, daß die Be-
wegung im Sande verlaufen möge. Sie habe indeß jetzt schon eine zu große
Bedeutung für Religion und Staat, als daß sie je im Sande verlaufen könnte.
Der Wiedergeburt der Kirche stünden Hindernisse entgegen, aber keines derselben
sei unüberwindlich. Ein Haupthinderniß sei die Veräußerlichung Derjenigen,
für die der Papst die Stelle des Gewissens vertrete. Diese Unselbstständigkeit
des Gewissens beherrsche auch den Clerus; die daraus erwachsende Unklarheit
habe viele Geistliche und selbst Bischöfe, wie Hefele und Haneberg, abgehalten,
der Wahrheit Zeugniß zu geben. Ein weiteres Hinderniß sei die nicht zu
controlirende unheilvolle Macht der unterworfenen Priester im Beichtstuhl über
die Fraueu. (Stürm. Beifall.) Dann komme das materielle Interesse
in Frage, welches vor Allem bei der schmachvollen Unterwerfung der Geistlich-
keit eine große Rolle gespielt. Ein weiteres Hemmniß sei die Unwissenheit und
die Gleichgiltigkeit gegen die Wahrheit. Das Haupthinderniß aber bestehe in
dem bösen Beispiel und dem AMergerniß, welches die deutschen Bischöfe dadurch
gegeben, daß sie ihre feierli tsten Versprechungen, Erklärungen und Protesta-
tionen vergessen hätten, sowie in der Haltung der Regierungen, welche durch
falsche Nachgiebigkeit in den letzten Decennien den Ultramontanismus groß
gezogen und jetzt, von der kirchlichen Krisis Überrascht, noch nicht die rechte
Stellung und die rechte Einsicht zu finden wüßten. Trot dieser Hindernisse
dürfe man nicht verzagen, der endliche Sieg der Wahrheit sei unzweifelhaft.
Prof. v. Schulte: Er müsse das Geständniß wiederholen, daß er Jahre
lang der Kirche Christi zu dienen geglaubt und ein System vertheidigt, das
er später als ein Zerrbild der Kirche Christi erkannt habe. Von der Geburt
bis zum Tode werde der Katholik von der Hierarchie und dem Clerus aus-
gebeutet. Das Resultat dieses religiösen Systems von Mißbräuchen sei die
Werkheiligkeit und die absolute Ahhängigkeit von Clerus und Hierarchie. Der
Ultramontanismus sei ein grundsätzlicher Gegner der staatlichen und nationalen
Rechte; die Ultramontanen aller Länder gingen Hand in Hand miteinander.
Die Bischöfe hätten sehr klar erkannt, daß das ultramontane System, welches
in der Infallibilität gipfele, mit den Rechten des Staates nicht vereinbar sei,
gleichwohl aber suchten sie jetzt die Infallibilität durchzusetzen. In der letzten
Delegirtensitzung hebt Präsident v. Schulte nochmals hervor, daß auch
die Wiedervereinigung mit den deutschen Protestanten angestrebt werde, wenn-
gleich bis jetzt nur Vertreter der englischen und russischen Kirche geredet hätten.
Er gebe nun einem Mitgliede der evangelischen Kirche, Geheimrath Bluntschli
aus Heidelberg das Wort, erwähne aber, daß der Congreß damit, daß ein
Vertreter einer bestimmten Richtung der protestantischen Kirche rede, nicht eben
dieser Richtung speciell sich annähern wolle. Prof. Bluntschli bezeichnet es