Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder. 
plinarisch strafen, denselben die Kirchen für ihren Gottesdienst verweigern ze. 
Der Dogmatismus sucht jetzt, seitdem die Verbindung der staatlichen und 
kirchlichen Reaktion sich zu lösen beginnt, seine Stellung hinter seinen eigenen 
Satzungen zu sichern, ohne jedoch eine andere Autorität zu besitzen, als die 
der Tradition, nicht aber die allein protestantische Berechtigung der Wahrheit. 
Und auch die bekenntnißtreuen Orthodoxen sind thatsächlich von dem alten 
lutherischen Symbol abgefallen, dem gleichwohl die Union zum Opfer ge- 
bracht werden soll. Redner geht weiter auf die Tendenzen des Orthodoxismus 
ein, die auf Grund der protestantischen Principien bekämpft werden müssen; 
deßhalb protestirt der Protestantenverein gegen die Bekenntnisse, indem er auf 
dem kirchlichen Boden der Union steht. Wenn menschlich betrachtet die Spal- 
tung der protestantischen Kirche zu beklagen war, so brach sie doch die Macht 
des Dogmas und es bedarf bei dem reformatorischen Geist unserer Zeit nur 
der Vereinigung aller seiner Gegner, um den Dogmatismus vollends zu Fall 
zu bringen. Aber der Protestantenverein will nicht nur niederreißen, sondern 
auch aufbauen; er strebt auf dem Grunde des Evangeliums die Erneuerung 
der christlichen Kirche an: er verwirft mit den dogmatischen Bekenntnissen nicht 
das Bekennen selbst, nicht jedes Bekenntniß, es fragt sich nur, wie daselbe 
beschaffen sein soll. Die Autorität eines Bekenntnisses, das auf freie Zustim- 
mung und Ueberzeugung begründet ist, betrachtet der Protestantenverein nicht 
als ein geistiges Joch, und in der That wissen die Mitglieder des Protestan- 
tenvereins sich eins in dem Bekenntniß von Christus, dem gottgesandten Mittler, 
das sich am leichtesten an das apostolische Bekenntniß anschließen würde. Das 
kirchliche Bekenntniß muß ein Bekenntniß für die Gemeinde sein, das in deren 
Geist und Herz seine Stätte hat und deren Leben bestimmt. Auf Grund eines 
solchen Bekenntnisses will der Protestantenverein an die Stelle des Dogma- 
tismus eine wirkliche evangelische Volkskirche gesetzt wissen, ohne ein neues 
Kirchenthum aufrichten zu wollen, sondern in Bethätigung des eigensten Prin- 
cips des Protestantismus. Die Dogmen sollen der theologischen Wissenschaft 
verbleiben, um von ihr geprüft und schriftgemäß begründet zu werden. Die 
persönliche Ueberzeugung, welche sich für die Bekenntnisse belennt, bekämpft 
der Protestantenverein nicht, wohl aber die für letztern beanspruchte Zwangs- 
herrschaft. Die Lehrfreiheit anlangend gesteht er der Kirche das Recht zu, 
von ihren Predigern ein Gelöbniß zu fordern, nicht aber eine eidliche Ver- 
pflichtung auf die Bekenntnisse; für die Gemeinde nimmt er die Betheiligung 
an Ordnung ihrer Angelegenheiten durch geeignete Organe in Anspruch. Die 
evangelische Kirche muß sich vor allem angelegen sein lassen, miltelst ihrer 
Organe alle die Thätigkeiteu zu Üben, die ihr durch die christliche Liebe ge- 
boten 8 Das Kirchenthum, wie es der Protestantenverein in der Volks- 
kirche schaffen will, ist mit dem Rechtsstaat wohl vereinbar. Die kirchliche 
Zerrissenheit Deutschlands kann nicht mit einem Schlage durch eine allgemeine 
deutche Nationalkirche ersetzt werden, aber der Protestantenverein sieht mit der 
Hoffnung in die Zukunft, daß allmälig, je mehr der Dogmatismus sich über- 
lebt und zerfällt, das deutsche Volk, wie es sich politisch geeinigt hat, bei seiner 
Bildung auch in der, vom Protestantenverein geforderten Volkskirche sich zu- 
sammenfinden und aller Zwist sich lösen wird in dem gemeinsamen Bekennt- 
niß: „Nur Einer ist unser Meister, Christus, wir aber sind alle Brüder.“ 
Prof. Lipsius, als zweiter Referent Über die Bekenntnißfrage, will zu einer 
Verständigung über die praktischen Ziele des Protestantenvereins beitragen, 
ohne Hoffnung freilich, eine solche auch mit den eigentlichen Confessionellen zu 
erzielen, z. B. „dem welfischen Consistorium der kgl. preußischen Provinz Han- 
nover“ und der Firma „Kliesoth und Comp.", aber doch z. B. mit der theo- 
logischen Fakultät Halle und dem Kirchentage unter Vorsitz eines Hermann. 
Diese Verständigung müsse erfolgen im Wege der Anerkennung des Rechtes, 
der Gleichberechtigung der liberalen Elemente in der evangelischen Kirche 
neben den Orthodoxen, nicht der Vorherrschaft oder gar der Alleinherrschaft 
 
	        
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