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Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder.
so veröffentlicht die „Aachener Zeitung“ ein Schreiben, welches dersobe
unterm 11. Nov. 1870 an das damals bereits unter Führung des
Prof. Dr. Bauerband in Bonn bestehende Comité der rheinischen Alt-
katholiken gerichtet hat. Diese Altkatholiken hatten an mehrere von den-
jenigen Bischöfen, welche auf der ersten Fuldaer Conferenz (wo die
Unterwerfung unter das Unfehlbarkeitsdogma beschlossen wurde) nicht
erschienen waren, so an den Erzbischof von Bamberg und an Hefele, die
Anfrage gerichtet: was nun zu thun sei. Darauf antwortete der Letztere:
„Hochverehrte Herren! Für Ihre freundliche Zuschrift vom 4. ds. Mts.
bestens dankend, beehre ich mich, Ihnen meine Anschauung über unsere trau-
rige Lage ganz offen vorzutragen. Ich kann mir in Rottenburg so wenig
wie in Rom verhehlen, daß das neue Dogma einer wahren, wahrhaftigen,
biblischen und traditionellen Begründung entbehrt und die Kirche in unbe-
rechenbarer Weise beschädigt, so daß letztere nie einen herberen und tödtlicheren.
Schlag erlitten hat als am 18. Juli d. J. Aber mein Auge ist zu schwach,
um in dieser Noth einen Rettungsweg zu entdecken, nachdem fast der ganze
deutsche Episcopat so zu sagen über Nacht seine Ueberzeugung geändert hat
und zum Theil in sehr verfolgungssüchtigen Infallibilismus Übergegangen ist.
Ich sehe mit Schrecken, daß demnächst in allem Religionsunterrichte Deutsch-
lands die Infallibilitäl als das Haupt= und Primärdogma des Christenthums
wird gelehrt werden, und ich kann mir den Schmerz der Eliern wohl vor-
stellen, welche ihre Kinder solchen Schulen Überlassen müssen. Aber alles
Sinnen und Denken über diese Noth hat mich bisher nicht weiter geführt als
zu einer Norm für meine eigene Person. Ich werde das neue Dogma in
meiner Diöcese nicht verkünden, und faktisch wird in ihr nur von wenigen
Geistlichen infallibilistisch gelehrt. Weitaus die meisten ignoriren das neue
Dogma, und das Volk kümmert sich, ganz wenige — besonders Adelige —
ausgenommen, gar nicht um dasselbe und ist sehr zufrieden, daß der Bischof
darüber schweigt. Desto unzufricdener ist man von der andern Seite, und
die Folgen für mich werden nicht lange auf sich warten lassen. Ich will lieber
den Stuhl als die Ruhe des Gewissens verlieren. Solche Abschlachtung der
Einzelnen hätte nur verhütet werden können, wenn der gesammte deutsche
Episcopat sich der Verkündung des Dekretes widersetzt hätte. Vis unita for-
tior. Ich halte in Rom die Hoffnung, daß solches wenigslens annähernd
geschähe. Jetzt ist es ganz anders geworden. Ich will aber gern, Ihrer Ad-
resse gemäß, mit den wenigen noch renitenten Bischöfen Deutschlands und
Oeslerreichs, sowie mit den Ungarn in Correspondenz treten, um wo möglich
eine einheitliche Aktion zu erzielen. Nur kann ich mich großer Hoffnung nicht
hingeben. Unter den Bischöfen der Schweiz sind alle Infallibilisten, mit Aus-
nahme Greith's in St. Gallen. Er wird es so lange wie möglich machen,
wie ich; aber wenn man ihm einmal das Messer an den Hals setzt, wird er
sich unterwerfen (ich stehe mit ihm in Correspondenz). Die Ungarn verschanzen
sich hinter ihre Regierung und dem „Non placct“; hier wird das Tekret
gewiß nicht verkündet, aber ob die Ungarn zu einer weiteren gemeinsamen
Aktion bereit sind, ist mir nach meiner Correspondenz mit Ungarn freilich
zweifelhaft. Ebenso konnte ich von Dupanloup keine offene Erklärung darüber
erhalten, was er schließlich thun werde. Alles das lautet freilich sehr pessi-
mistisch; aber bei alle dem scheint mir noch das Beste die dilatio guam ma-
xXJima — Zögerung ohne förmliches Schisma, dessen Folgen unberechenbar
sind. Wo die Noth am größten. ist Gott am nächsten. Die Zögerung schließt
aber die Nichtunterwerfung ein. Wird darauf mit Kirchenstrafen geantwortet,
so müssen wir, glaube ich, uns denselben quoad ordinem externum sügen,
wenn wir auch ihre innere Berechtigung und ihre Geltung vor Gott nicht an-
erkennen. Schließlich bemerke ich noch, daß unsere schriftliche Wiederholung