Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 219
2. Nov. (Baden.) Die Regierung erläßt eine neue Verordnung bezüglich
5.
der Staatsprüfung der Geistlichen, durch welche die dießfällige Ver-
ordnung von 1867 ermäßigt wird, um der erzbischöflichen Curie ent-
gegen zu kommen. Der Erzbisthumsverweser Kübel erklärt sich jedoch
damit nicht zufrieden und verordnet „daß es den Geistlichen und Can-
didaten des geistlichen Standes nach wie vor untersagt bleibe, sich
irgendwie bei dieser Staatsprüfung zu betheiligen.“
Schon im Februar ds. Irs. fand zwischen einem bischöflichen und einem
Regierungscommissär eine Besprechung statt, in welcher die Regierung dem
Ordinariate beachtenswerthe Vorschläge zur Erzielung eines beiderseits ge-
wünschten Einverständnisses machte. Bischof Kübel hielt sich indessen verpflichtet,
in Nom vorher um Instruktion zu bitten, und theilte dieß der Regierung mit.
Der Regierung schien indeß die Sache zu lange zu dauern, und so erfolgt
am 2. Nov. der Erlaß, welcher die frühere Verordnung theilweise abändert,
ohne jedoch die späteren Abmachungen ganz zu berücksichtigen. Unterdessen
war aber auch die Enischließung von Rom eingetroffen, und nun legt der
Erzbisthumsverweser Bischof Kübel „im ausdrücklichen Auftrage resp.
im Namen des apostolischen Stuhles“ Verwahrung gegen die berührte
Verordnung vom 6. September 1867 und vom 2. d. M. ein, weil dadurch
das „im göttlichen, natürlichen und positiven Rechte begründete unveräußerliche
Recht der Kirche“ verlelt erscheine, die Erziehung und Heranbildung der Geisl-
lichen selbständig zu leiten, über deren Befähigung und Anstellung zum Kir-
chendienst frei zu entscheiden. Es wird also vorerst der alte Kriegszustand in
diesem Punkte aufrecht erhalten bleiben. Darunter zu leiden hat cigentlich
nur die niedere Geistlichkeit, denn viele Mitglieder derselben müssen Pfarrver-
weser bleiben, weil der Staat seine Pfründen nur solchen gibt, welche die
Prüfung gemacht haben. Das aber ist von Ordinariatswegen verboten. Also
auch eine Art Temporaliensperre.
„ (Lippe-Detmold.) Der Versuch des neuen Cabinctsministers
v. Flottwell, die Zustände des Ländchens auf Grundlage der (in ihrer
Rechtsbeständigkeit bestrittenen) Verfassung von 1835 in geordnete
verfassungsmäßige Bahnen zu lenken, ist gescheitert. Der Minister er-
läßt darüber folgende Bekanntmachung:
„Die Erwartung der Staatsregierung, daß die ausgeschriebenen Land-
lagswahlen eine für die Herbeiführung friedlicher Zustände günstige Aussicht
eröffnen würden, ist nicht in Erfüllung gegangen. Nachdem in einigen
Wahlbezirken des 2. und 3. Standes gar keine Wahl zu Stande gekommen
ist, und von den in den lbrigen Wahlbezirken Gewählten die überwiegende
Mehrzahl zwar die Wahl angenommen, demnächst aber in ciner zu Lemgo
abgehaltenen Versammlung erklärt hat, an den Berathungen des Landtags
nicht theilnehmen zu wollen, ist die Staatsregierung nicht in der Lage, diesen
Landtag zu berufen. Sie ist deßhalb genöthigt, ohne Mitwirkung einer
Landesvertretung die Staatsgeschäfte fortzuführen, und wird
dieß mit dem vollen Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit so lange ühun, bis
es gelingt, einen beschlußfähigen Landtag durch die Wahl von Männern zu
bilden, welche ein Mandat zum Landtag annehmen — nicht um es niederzu-
legen, sondern um es zum Besten des Landes auszullen.
„ (Preußen.) Der Reg.-Präs. der Provinz Sachsen, v. Witzleben,
wird in Folge seiner Haltung als Mitglied des Herrenhauses der
Kreisordnungsvorlage gegenüber zur Disposition gestellt.
. (Preußen.) Der Cult= und Unterrichtsminister legt dem Staats-