Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
„Nach einem uns zugelommenen Hirtenbrief, erlassen von dem Bischof von 
Mainz an die Geistlichkeit und die Gläubigen seines Kirchensprengels, sollen 
auf gemeinschaftliche Anordnung der in Fulda versammelt gewesenen Bischöfe 
von Allerheiligen (1. Nov. I. J.) bis zur Fastenzeit nächsten Jahres, wie in 
allen katholischen Gemeinden Deutschlands, so auch in denen des Großherzog-= 
thums, öffentliche Gebete für „die Anliegen, resp. Bedrängnisse der katholischen 
Kirche in Deutschland“ stallfinden. Inhaltlich besagten Hirtenbriefs scheinen 
zwar mit der besagten Andacht keine Predigten — Verkündigungen oder Er- 
örterungen — verbunden zu sein, aber immerhin wollten wir Ihnen empfeh- 
len, wie Überhaupt auf die Kanzelvorträge, auch auf die besagten Andachts- 
übungen in geeigneter und wenigst möglich auffälliger Weise Ihr Augenmerk 
zu richten und, falls neben dem Gebet auch Vorträge 2c. vorkommen sollten, 
von etwaigen bei letzteren sich ergebenden Zuwiderhandlungen gegen den 
* 130 a des Strafgesetzbuches anher, sowie zugleich an das zuständige Gericht, 
Anzeige zu machen."“ 
18. Nov. (Sachsen.) II. Kammer: nimmt das sog. Consistorialgesetz unter 
Vorbehalt mit 42 gegen 23 Stimmen an. 
Nicht mit Unrecht leitet der Abg. Kraufe die Debatte mit der Ueber- 
zeugung ein, daß „dieß der schwierigste Gegenstand sei, der jemals in diesem 
Saale behandelt werden kann.“ Bekanntlich war seiner Zeit von der Synode 
ein „Kirchengesetz, die Errichtung eines evangelisch-lutherischen Landesconsisto- 
riums betreffend“, mit der Regierung vereinbart worden, und letztere hatte 
beim Zusammentritt der Stände von diesen ohne weiteres die Mittel dazu 
verlangt. Da war sofort die Frage aufgeworfen worden: ob denn nicht dieses 
„Kirchengesetz“ erst der Zustimmung der Stände zu unterbreiten sei, und die 
erste Deputation erhielt demgemäß Auftrag die Frage in Erwägung zu ziehen. 
Nun wollte zwar die Regierung bei den Deputationsverhandlungen nicht zu- 
geben, daß das fragliche Gesetz, um rechtsgiltig zu werden, einer Genehmigung 
der Stände bedürfe; indessen sie brachte doch schließlich am 15. Febr. den „Ent- 
wurf eines Gesetzes, die Publikation des Kirchengesetzes wegen Errichtung eines 
evangelisch -lutherischen Landesconsistoriums betreffend“ ein, und nun nimmt 
denn auch die zweite Kammer dieses Gesetz nach den Vorschlägen der De- 
putation mit 45 gegen 23 Stimmen an. Nur soll, es nicht eher in Wirk- 
samkeit treten, als bis die Gesetze über das Volksschulwesen und über die 
Organisation der Behörden für die innere Verwaltung eingeführt sind. In 
der Debatte warnen die Abg.. Krause und Ludwig nachdrücklichst vor dem 
für die Staatssouveränetät gefährlichen Gesetze. Krause insbesondere macht 
wiederholt darauf aufmerksam, daß der Entwurf und das System der Regie- 
rung darauf hinauslaufen, nicht etwa die evangelisch-lutherische Kirche vom 
Staate zu trennen und auf ihre eigenen Füße zu stellen, sondern für 
gewisse Gebiete des Staats, die an das Kirchliche grenzen, eine von der ver- 
fassungsmäßig geordneten Landesgewalt getrennte neue Gewalt zu schaffen, 
„eine Gewalt, welche, nach dem Glauben der Regierung, gewissen Bestrebungen, 
die wir nicht genehmigen können, einen besseren Rückhalt bieten soll, als die 
Stände dieses Landes. Wir können uns gar nicht verhehlen, daß, sobald wir 
dieses Gesetz genehmigt haben, trotz des Oberaussichtsrechtes des Staates von 
einer Staatsgewalt in der evangelisch-lutherischen Kirche nicht mehr die Nede 
sein kann, sondern daß in allen einschlagenden Fällen das Non possumus 
vom Ministertisch uns entgegentönen wird, und daß wir zu hören bekommen 
werden, wie diese und jene Angelegenheit wieder eine Sache der Kirche sei, die 
uns nicht mehr angehe... Nach dem Gesetzentwurf wird es in Zukunft we- 
sentlich von der Zusammensetzung der Synode, einer dem heutigen Leben und 
den lebendigen Bestrebungen des Volks entfremdeten Körperschaft, abhängen, 
wie wir mit unserem Volksunterricht, unserem Eherecht und anderen Dingen 
fahren werden.“ Ludwig, der die in der ersten Kammer gefallene Erklärung 
 
	        
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