Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 229
Landrath v. Meyer erklärt aber dem Minister nun rund heraus, es wäre
Perfidie, wenn so verfahren würde. Eulenburg schweigt dazu, bis ihn Virchow
zum Reden zwingt. Da gibt er denn die etwas matte Erklärung ab, er werde
in die Ausführungsinstruktion hineinschreiben nicht etwa, daß er die Ziffern
auch jetzt noch als maßgebend erachte, sondern daß das Abgeordnetenhaus bei
seiner ersten Beschlußfassung über die Kreisordnung auf diese Ziffern Werth
gelegt habe. Dieses Verhalten motivirt neuerdings das Mißtrauen, welches
Virchow Namens der Fortschrittspartei einer Ausführung der Kreisordnung
durch den Minister entgegenstellt. Eulenburg erwidert darauf, daß im All-
gemeinen derjenige Minister zur Ausführung am Geeignetsten sei, der das
Gesetz gemacht habe. Freilich steht fest, daß die besten Seiten des Gesetzes
nicht von ihm, sondern von den Amendements Lasker's herrühren. Lasker
hebt mit großem Nachdruck den gewaltigen Fortschritt hervor, der mit der
Vorlage nunmehr endlich errungen sei, während Virchow scharf betont, daß
die Kreisordnung nur als ein erster Anfang liberaler Reformen gelten könne
und daß ihr Hauptverdienst darin bestehe, daß sie Überhaupt in die bestehenden
Zustände einmal Bresche lege. Lasker hat persönlich für diese Kreisordnung
so viel gearbeitet und gekämpft, daß es sich psychologisch wohl erklären läßt,
wenn ihm jetzt der Triumph größer erscheint, als er vielleicht in Wirklichkeit
genannt werden kann. Der im Hintergrund stehende offenbar nunmehr ge-
sicherte Pärsschub veranlaßt die Feudalen zu rücksichtslosem Auftreten gegen
die Regierung. Der pommerische Rittersgutsbesitzer v. Wedell wirft dem
Minister vor, daß er unter conservativer Firma liberale Politik treibe. Von
dieser Seite scheint man in der That der Regierung gegenüber die Brücken
als abgebrochen anzusehn. Mallinckrodt kokettirt im Namen der Clericalen
bald mit den Polen, bald mit dem Herrenhaus, bald auch mit der Negierung,
wie es gerade paßt. Als er die persönliche Einmischung des Königs in die
Sache erwähnt, stimmt ihm die Linke bei. Der Präsident Forckenbeck ver-
zieht keine Miene, weil er jene Rede des Königs gegen den Grafen Brühl als
unter Verantwortung der Minister gesprochen erachtet.
Die Negierung legt dem Hause den ersten der vom Staatsmini-
sterium beschlossenen kirchlich-politischen Gesetzentwürfe, denjenigen über
die Grenzen des Rechts zum Gebrauche kirchlicher Straf= und Zucht-
mittel, vor.
21. Nov. (Preußen.) Abg.-Haus: die allgemeine Rechnung über den
22.
25.
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Staatshaushalt für 1868 gibt dem Abg. Richter (Hagen) zu heftigen
Ausfällen gegen die Verwaltung des sog. Welfenfonds und die daraus
unterhaltene offiziöse Presse Veranlassung.
„ (Preußen.) Ein Protest gegen den hannoverschen Pastor Grote
bringt allerlei merkwürdige Enthüllungen zu Tage, da es der Kron-
anwaltschaft offenbar nicht allein um die Verurtheilung Grote's zu
thun ist, sondern weit mehr um eine Untersuchung gegen die Welfen-
partei und um Bloßlegung ihrer Verbindungen und Angitationen.
„ (Sachsen.) II. Kammer: genehmigt den Antrag der Regierung
auf Umgestaltung der Oberrechnungskammer nach dem Vorbild der
preußischen.
„ (Preußen.) Abg.-Haus: Dritte Lesung der Kreisordnungs-
vorlage. Virchow motivirt die Stellung der Fortschrittspartei, welche
trotz der Ablehnung ihrer Amendements für die Vorlage stimmen
werde. Die Vorlage wird darauf in namentlicher Abstimmung mit