Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 229 
Landrath v. Meyer erklärt aber dem Minister nun rund heraus, es wäre 
Perfidie, wenn so verfahren würde. Eulenburg schweigt dazu, bis ihn Virchow 
zum Reden zwingt. Da gibt er denn die etwas matte Erklärung ab, er werde 
in die Ausführungsinstruktion hineinschreiben nicht etwa, daß er die Ziffern 
auch jetzt noch als maßgebend erachte, sondern daß das Abgeordnetenhaus bei 
seiner ersten Beschlußfassung über die Kreisordnung auf diese Ziffern Werth 
gelegt habe. Dieses Verhalten motivirt neuerdings das Mißtrauen, welches 
Virchow Namens der Fortschrittspartei einer Ausführung der Kreisordnung 
durch den Minister entgegenstellt. Eulenburg erwidert darauf, daß im All- 
gemeinen derjenige Minister zur Ausführung am Geeignetsten sei, der das 
Gesetz gemacht habe. Freilich steht fest, daß die besten Seiten des Gesetzes 
nicht von ihm, sondern von den Amendements Lasker's herrühren. Lasker 
hebt mit großem Nachdruck den gewaltigen Fortschritt hervor, der mit der 
Vorlage nunmehr endlich errungen sei, während Virchow scharf betont, daß 
die Kreisordnung nur als ein erster Anfang liberaler Reformen gelten könne 
und daß ihr Hauptverdienst darin bestehe, daß sie Überhaupt in die bestehenden 
Zustände einmal Bresche lege. Lasker hat persönlich für diese Kreisordnung 
so viel gearbeitet und gekämpft, daß es sich psychologisch wohl erklären läßt, 
wenn ihm jetzt der Triumph größer erscheint, als er vielleicht in Wirklichkeit 
genannt werden kann. Der im Hintergrund stehende offenbar nunmehr ge- 
sicherte Pärsschub veranlaßt die Feudalen zu rücksichtslosem Auftreten gegen 
die Regierung. Der pommerische Rittersgutsbesitzer v. Wedell wirft dem 
Minister vor, daß er unter conservativer Firma liberale Politik treibe. Von 
dieser Seite scheint man in der That der Regierung gegenüber die Brücken 
als abgebrochen anzusehn. Mallinckrodt kokettirt im Namen der Clericalen 
bald mit den Polen, bald mit dem Herrenhaus, bald auch mit der Negierung, 
wie es gerade paßt. Als er die persönliche Einmischung des Königs in die 
Sache erwähnt, stimmt ihm die Linke bei. Der Präsident Forckenbeck ver- 
zieht keine Miene, weil er jene Rede des Königs gegen den Grafen Brühl als 
unter Verantwortung der Minister gesprochen erachtet. 
Die Negierung legt dem Hause den ersten der vom Staatsmini- 
sterium beschlossenen kirchlich-politischen Gesetzentwürfe, denjenigen über 
die Grenzen des Rechts zum Gebrauche kirchlicher Straf= und Zucht- 
mittel, vor. 
21. Nov. (Preußen.) Abg.-Haus: die allgemeine Rechnung über den 
22. 
25. 
26. 
Staatshaushalt für 1868 gibt dem Abg. Richter (Hagen) zu heftigen 
Ausfällen gegen die Verwaltung des sog. Welfenfonds und die daraus 
unterhaltene offiziöse Presse Veranlassung. 
„ (Preußen.) Ein Protest gegen den hannoverschen Pastor Grote 
bringt allerlei merkwürdige Enthüllungen zu Tage, da es der Kron- 
anwaltschaft offenbar nicht allein um die Verurtheilung Grote's zu 
thun ist, sondern weit mehr um eine Untersuchung gegen die Welfen- 
partei und um Bloßlegung ihrer Verbindungen und Angitationen. 
„ (Sachsen.) II. Kammer: genehmigt den Antrag der Regierung 
auf Umgestaltung der Oberrechnungskammer nach dem Vorbild der 
preußischen. 
„ (Preußen.) Abg.-Haus: Dritte Lesung der Kreisordnungs- 
vorlage. Virchow motivirt die Stellung der Fortschrittspartei, welche 
trotz der Ablehnung ihrer Amendements für die Vorlage stimmen 
werde. Die Vorlage wird darauf in namentlicher Abstimmung mit
	        
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