Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Oesterreich-Ungarn. 257 
in Gemäßheit des Artikel 6 des Gesetzes vom 25. Mai 1868 ihrem Austritt 
aus der Kirche den vorgeschriebenen Ausdruck gegeben haben. Würde ein 
solcher Schritt seitens der „Altkatholiken“ rechtsförmlich vorgenommen, dann 
stünden denselben allerdings jene Rechte offen, welche Artikel 16 des Staats- 
grundgesetzes vom 21. December 1867 einräumt, während bezüglich ihrer Ehe- 
schließungen, Ehe-Aufgebote, Überhaupt bezüglich aller ihrer Civilstands-Akte 
das Gesetz vom 9. April 1870 maßgebend sein würde. Insolange aber ein 
solcher Schritt nicht geschehen ist, kann die Regierung zur Ausübung jener 
staatlichen Funktionen, welche der Seelsorge-Geistlichkeit der gesetzlich anerkannten 
Bekenntnisse anvertraut sind, nur diejenigen Priester als legitimirt ansehen, 
welche nach den bestehenden Gesetzen und kirchlich-staatlichen Einrichtungen als 
die ordentlichen Seelsorger jener Bekenntnisse erscheinen. Es entbehren daher 
insbesondere alle von sog. altkatholischen Geistlichen geführten Civilstandsregister 
(Tauf-, Trauungs= und Sterbe-Matrikeln) der bffentlichen Eigenschaft und 
Glaubwürdigkeit und ist diesen Geistlichen die Führung derartiger quasi-amt- 
licher Register und die Ausstellung von Zeugnissen über die daselbst eingetra- 
genen Akte unter Androhung der gesetzlichen Folgen zu untersagen. Es steht 
ferner zu gewärtigen, daß von solchen Geistlichen geschlossene Ehen von den 
zuständigen Gerichten für ungiltig erklärt werden. Denn bei dem offenbaren 
Mangel eines gesetzlich anerkannten Organismus der Altkatholiken kann weder 
die Versammlung jener Gläubigen als ordentliche Pfarrgemeinde, noch ihr 
Seelsorger im Sinne des Gesetzes angesehen werden. Es sind sowohl Braut- 
leute als Seelsorger, unter Hinweisung auf die Strafbestimmungen wegen Ein- 
gehung gesetzwidriger Ehen sowie auf die nachtheiligen civilrechtlichen Folgen 
ungiltiger Eheschließungen, zu belehren und ist eventuell weiterhin das gesetz- 
liche Amt zu handeln. 
21. Febr. (Ungarn.) Unterhaus: Beendigung der Debatte über die Bank- 
frage. Mit 180 gegen 120 Stimmen wird beschlossen, 
den Finanzminister anzuweisen, daß er sich mit dem Finanzminister der 
im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder in Verbindung setze und 
im Einvernehmen mit demselben einen Gesetzentwurf über die Art und Weise 
der Valutaregelung ausarbeite und der Legislative vorlege; daß er ferner da- 
für sorge, daß, bis dieß geschehen könne, der Banknotenverkehr ein Central- 
organ im Lande gewinne, dessen Direktion im Sinne der seiner Zeit durch die 
Gesetzgebung zu genehmigenden Statuten unter der gesetzlichen Oberaufsicht 
und Controle der ungarischen Regierung unabhängig vorgehe, und welches 
Organ über die zur Deckung des wirklichen Crediterfordernisses der Länder 
der ungarischen Krone entsprechenden Summen verfügen solle. Die Anträge 
auf Grlndung einer selbstständigen ungarischen Bank sind demnach abgelehnt. 
Ministerpräsident Graf Lonyay konstatirt im Laufe der Sitzung, daß 
die ungarische Regierung keinerlei Verpflichtung gegenüber der Nationalbank 
übernommen habe, und erklärt, daß es das Bestreben der Regierung sei, dem 
Lande eine geregelte, selbstständige, von der ungarischen Regierung überwachte 
und den wirklichen Creditansprüchen Ungarns Genüge leistende Notencirculation 
zu verschaffen. Auch die Regierung wünsche die Regulirung der Valuta, sie 
verlange jedoch, daß ihr in dieser Beziehung genügende Zeit gelassen werde, 
da ein plötzlicher Uebergang nicht ohne Erschütterungen möglich sei. Schließ- 
lich betont der Ministerpräsident die Nothwendigkeit, ein Uebereinkommen mit 
der Nationalbank zu versuchen. Erst bei einem Mißlingen desselben könne zur 
Gründung einer selbstständigen ungarischen Bank geschritten werden. 
Beginn der Debatte über die von der Regierung vorgelegte Wahl- 
reform. Nicht weniger als 60 Mitglieder der Linken haben sich als 
Redner gegen den Entwurf eingeschrieben und ihr Führer Tisza be- 
ginnt die Reihe mit einer heftigen Philippika. Der Minister des 
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