Geflerreich-Angarn. 261
ständig der Taktik der äußersten Linken an. In der Sitzung vom 7. März
verlangte zuerst Helfy Satisfaktion für den Ausdruck „indiskret“, der gestern
an seine Partei war gerichtet worden. Eine lärmende, stürmische Controverse
entstand darÜüber, die sich erst legte, als der Präsident zu refigniren drohte.
Erst jetzt konnte über den Commissionsantrag abgestimmt werden. Bei Fixi-
rung der nächsten Tagesordnung begann indeß der alte Spektakel neuerdings,
drei Redner der Linken verlangten unter Drohungen die Zurücknahme des
Wahlgesetzes; Moajoros sagle, die Rechte begehe einen „Naub an den Volks-
rechten“ und Lonyay warf er vor, daß er bei Bahnconcessionen seine Familie
versorge. Der doppelte Ordnungsruf weckte einen Sturm auf der Linken,
Lonyay erblaßte und zitterte vor Erregung, die Rechte schrie und stampfte,
die Linke hinwieder brüllte, hinüber und herüber flogen die gemeinsten Sottisen
und Schimpfnamen, zwanzig Redner verlangten zugleich das Wort, ein förm-
licher Sturm gegen das Präsidium wurde eröffnet, alles tobte, schrie und
stampfte wüst durcheinander, drohende Geberden, begleitet von schrillen Tönen,
waren das einzige, was wahrgenommen werden konnte. — Dem früheren Be-
schluß gemäß fand um 5 Uhr Abends wieder eine Sitzung statt, wobei man
endlich zur Aufstellung einer Tagesordnung kam. Doch kaum ist das ge-
schehen, beantragt E. Simonyi, die allfälligen Abendsitzungen jedes Mal um
9 Uhr zu schließen. Die Linke verlangt wieder namentliche Abstimmung,
welche die Ablehnung des Antrags ergibt. Da plötzlich frägt Matyus: „Wie
lange werden wir dann heute sitzen ?!“ Lazar beantragt Schluß um 9 Uhr,
Szapary um 11 Uhr, die Linke verlangt wieder namentliche Abstimmung für
beide Anträge. Lazar's Antrag wird verworfen, Szapary (Deakist) zieht seinen
zurück, aber Nemeth (Linke) nimmt ihn wieder auf, damit seine Partei Ge-
legenheit hat, ihn zu bekämpfen. 11 Redner zumeist von der Linken sprechen
darüber, so daß der Rechten die Lust nach Permanenz-Erklärung des Hauses
vergeht. Nach Mitternacht fällt es Györffy ein, zu fragen, ob heute gestern
oder gestern heute sei, und um halb 2 Uhr noch sprach ein Redner in vol-
lem Pathos für den Antrag auf Schluß der Sitzung um 11 Uhr! Trost-
los und grimmig ging Lonyay von einem Abgeordneten zum andern, welche
großentheils in den Corridoren herumlärmten; ein Theil von ihnen schlief
auf ihren Bänken ausgestreckt, cin anderer hatte den Salon des Ouästors in
einen Schlafsaal umgewandelt und sich dort auf Matratzen hingeworfen, bis
ein Glockensturm sie alle auf= und in den Sitzungssaal schreckte, wo die Linke
soeben nach der Beschlußfähigkeit des Hauses gefragt hatte, was sie wenigstens
jede Stunde viermal that: und erst gegen 2 Uhr konnte die Sitzung geschlossen
werden. Die Aufregung war eine ungeheure, selbst der Kaiser hatte sich regel-
mäßig Bericht erstatten lassen. Am 4. in aller Frühe schon fand ein Minister-
ralh statt. Man beschloß, ein Compromiß zu versuchen. Die Parlaments-
sitzung wurde denn auch nach einer viertelstündigen geheimen Berathung auf-
gehoben, darauf folgten allseitige Partei -Conferenzen, Lonyay wanderte von
einem Club in den andern, sodann wieder Ministerrath und zwar unter Vorsitz
des Kaisers, Abends große Conferenz der Deak-Partei. Minister Lonyay
dankte für die Unterstützung und erhielt dagegen so deutliche Kundgebungen
des Vertrauens seiner Partei, daß sich die Sitzung zu einer förmlichen Ovation
fUr Lonyay und die Regierung gestaltete. Die Debatte Über Lonyay's Aktions-
plan dauerte zwei Stunden; die Partei verpflichtete jedes Mitglied auf Ehren-
wort, den Inhalt dieser Debatte nicht in die Oeffentlichkeit zu bringen. Das
Ministerium erhielt plein pouvoir bezüglich seines ganzen Aktionsplanes. Die
Linke hat nun folgenden Verzettlungsplan festgestellt: Die Deputirten der Linken
reichen nacheinander Interpellationen ein, die dann stundenlang motivirt werden.
Jeder einzelne Deputirte versieht sich mit einer Masse von Privat-Petitionen,
seien dieselben noch so komisch und absurd; dieselben werden mit Einbegleitungs-
reden versehen. So geht es in der heutigen Sitzung durch viele Stunden;
die Rechte verhält sich vollständig ruhig; der Präsident greift nicht ein, um