Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Oesterreich-Ungarn. 277 
16. Sept. Der Kaiser empfängt die Delegation und erwiedert auf die An- 
17. 
24. 
sprachen der Präsidenten derselben, indem er die erhöhten Militär— 
forderungen betont: 
„Die günstige Lage der auswärtigen Verhältnisse des Reiches und die er- 
freulichen Beziehungen zu den Nachbarstaaten gestatten Meiner Regierung die 
Ansprüche an Ihre Opferwilligkeit auf jenes Maß zu beschränken, welches die 
Sicherheit der Monarchie, die Erhaltung und Entwicklung der gesetzlich nor- 
mirten Wehrkraft als nothwendig erscheinen ließen. Die Vorlagen sind das 
Ergebniß einer gemeinsamen Berathung mit den Regierungen beider Reichs- 
hälften. Sie beruhen auf gewissenhafter Prüfung und der gereiften Erfah- 
rung der letzten Jahre.“ 
b„ (Ungarn.) Unterhaus: Die Regierung legt demselben das Bud- 
get für 1873 vor. Dasselbe weist ein Defizit von nicht weniger als 
62½ Mill. aus. 
„Der gemeinsame Minister des Auswärtigen, Graf Andrassy, spricht 
sich im Budgetausschuß der österr. Delegation sehr einläßlich über die 
auswärtige Politik des Reiches aus. 
Zunächst erklärt er in Folge einer Interpellation Giskras: Bei Beant- 
wortung der gestellten Frage wolle er sich daran halten, daß der Grund- 
gedanke der Fragen des Vorredners in dem Interesse der Versamm- 
lung an der Erhaltung des Friedens beruhe. Nach seinem (des Ministers) 
Dafürhalten suche man umsonst oder doch nur prekär die Garantie des Frie- 
dens in den momentanen Beziehungen zu einem auswärtigen Staate. Die 
sicherste Garantie sei die eigene Politik des Staates. In dieser Beziehung 
habe bei uns häufig eine Art Schleier darüber gelegen, und man frage sich 
zeitweilig, ob nicht eine andere Politik möglich oder gar angezeigt gewesen 
wäre. Die Monarchie sei in der glücklichen Lage, seit Langem bereits zu be- 
stehen, sie brauche nur erhalten und im Innern entwickelt zu werden. Sie 
habe dasjenige verloren, was sie nicht zu erhalten vermochte und was auch 
zu ihrem Gedeihen nicht nothwendig war; sie sei außerdem an sich groß ge- 
nug, um neuer Erwerbungen entbehren zu können, sie könne und dürfe aber 
nichts mehr verlieren. Es wäre ein absolutes Vergehen gegen die Interessen 
der Monarchie, unsere Aufgabe anders aufzufassen. Zur Frage übergehend, 
ob und welche Unterschiede zwischen der Politik seines Vorgängers im Amte 
und der seinigen obwalten, bemerkt Andrassy, daß der Erstere die österreichisch- 
ungarische Politik in seiner letzten Rede im Juli vorigen Jahres wohl fast 
ebenso gekennzeichnet habe, wie er selbst die seinige bezeichnen müsse. Höchstens 
sei ein Unterschied nur in dem Worte, indem Redner seine Politik nicht sowohl 
eine Politik der freien Hand, als vielmehr eine Politik mit gebundener Marsch- 
route nenne, und diese sei der Friede mit Allen, in erster Linie mit unseren 
Nachbarstaaten. Wenn man conjekturell unserer Politik sogar andere Ziele 
stecken und uns territoriale Erweiterungen zumuthen wolle, dann müsse er 
fragen, welche Objekte sollten uns denn bestimmt sein und welcher Reichshälfte 
sollten wir dieselben zugesellen ? Sie müssen gerade zwischen beide hineingelegt 
werden, und wir kämen dann vielleicht sprichwörtlich zwischen zwei Stühlen 
auf dem Boden zu sitzen. Sei diese unsere innere Situation aber richtig 
aufgefaßt, so ergäbe sich dann die ußere Politik von selbst. Die möglichen 
Zielpunkte der Politik Oesterreichs-Ungarns seien also: dem Staate sagen zu 
können, die Opfer, die man von dir verlangt, sollen den Frieden sichern; dem 
Landmanne sagen zu können: bestelle ruhig deine Felder, sie sollen dir nicht 
zerstampft werden; die Städte versichern zu können: bauet eure Häuser, sie 
werden nicht zerstört werden; dem Capital die Versicherung zu geben; es möge 
angelegt und umgesetzt werden angesichts des gesegneten Friedens. Das sicher 
 
	        
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