Spanien. 311
1. Juni. Deputirtenkammer: lehnt einen von sieben theils radicalen, theils
11.
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republikanischen Abgeordneten eingebrachten Antrag auf ein Tadelsvotum
gegen den Kammerpräsidenten Rios Rosas mit 165 gegen 51 Stim-
men ab. Zorilla erklärt seinen Austritt aus der Kammer und daß
er fortan jeder politischen Thätigkeit entsage, „einmal, weil er das
Vertrauen in den von ihm gehofften Erfolg der Revolution ver-
loren habe, und weiters, weil er in sich die Energie nicht fühle, welche
für einen Führer der Radicalen in den kritischen Verhältnissen des
Moments und angesichts der bevorstehenden Eventualitäten nöthig sei“.
„ Serrano leistet dem König den Eid als Präsident des Cabinets
und Kriegsminister.
Die Deputirtenkammer genehmigt die Convention von Amorevieta
und billigt die Handlungsweise Serrano's mit 140 gegen 22 Stim-
men, obgleich die öffentliche Meinung sich im Ganzen gegen dieselbe
ausgesprochen hat. Auch der Senat genehmigt sie fast einstimmig,
nachdem Serrano erklärt hat, daß in Biscaya nicht eine einzige Car-
listenbande mehr vorhanden sei.
In Wahrheit ist jedoch die Lage in den Nordprovinzen durch die
Convention nur wenig verändert worden. Die carlistischen Banden
sind noch fast ebenso zahlreich, wie zuvor. Eine derselben erschießt
ihre Führer, Calle Vater und Sohn, weil sie jene Convention ein-
gegangen haben.
„ Eine Versammlung der Mehrheit der Cortes, der die Minister
beiwohnen, beschließt, der Regierung Vollmachten zu übertragen, „um
die öffentliche Ruhe herzustellen"“. Große Aufregung in Madrid. Der
König scheint geneigt, den Wünschen Serrano's zu entsprechen.
Die offiziösen Blätter deuten an, daß an eine sofortige Aufhebung der
Verfassung nicht gedacht werde, daß man jedoch diese Maßregel zu ergreifen
beabsichtige, sobald es nothwendig erscheine. Niemand verhehlt sich, daß der
dadurch geschaffene Zustand einer Diktatur ähnlich sehen würde, wie ein Ei
dem andern. Gleichzeitig treffen Nachrichten ein über den immer weiter um
sich greifenden Carlistenaufstand. In Catalonien werden die Carlisten-Streit-
kräfte auf 8000 Mann geschätzt, Städte, welche vorher nie carlistisch waren,
wie Tremo, Vendrell, Manresa find bereits der Tummelplatz ziemlich starker
Banden. Sie streifen bis vor die Thore von Neus und Tarragona. Die
amtlichen Berichte meldeten zwar von Siegen über die Banden, aber die
Banden verschwinden nicht. Da sie in Navarra die Pässe inne haben, so kann
von ihrer wiederholt angekündigten Umzingelung nicht die Rede sein. Diese
Nachrichten mußten in Madrid die höchste Aufregung hervorbringen, und in
dieser Stimmung soll am 12. die Adreßdebatte im Congreß beginnen. Man
erfährt auch, daß an diesem Tage im Palast unter dem Vorsitz des Königs
ein Ministerrath stattgefunden, in dem der König sich von der Nothwendigkeit,
das Ministerium mit der politischen und der finanziellen Diktatur zu beklei-
den, habe überzeugen lassen. Sofort rufen die republikanischen Blätter ener-
gisch zu den Waffen, die Organe der radicalen Partei predigen laut den Auf-
ruhr gegen die Dynastie.
„ Der König, durch die allgemeine Stimmung in Madrid doch be.
denklich gemacht, verweigert die am Tage zuvor Serrano und der