Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

England. 343 
England zu thun gedenke, die er in eine Linie mit den Communisten 
stellt, ja für noch gefährlicher erklärt und indem er auf die Auswei- 
sung derselben aus Deutschland hinweist. Gladstone erwidert, die Re- 
gierung müsse sich's ernstlich überlegen, bevor sie das Gesetz ausführe. 
Nach dem Gesetze von 1829 kann ein Jesuit in England nur durch Ge- 
setzübertretung Duldung finden. Dennoch halten sich in Großbritannien, na- 
mentlich aber in Irland, zahlreiche Jesuiten auf. Das Gesetz war eben nie- 
mals ausgeführt worden. 
24. Juli. Unterhaus: lehnt die Abschaffung der Todesstrafe mit 167 gegen 
25. 
54 Stimmen ab. 
„ Unterhaus: Debatte über die Affaire des irischen Richters Keogh. 
Ursprünglich standen sich zwei Anträge gegenüber: der eine verlangt eine 
strenge Durchführung des Corruptionsgesetzes auch gegen irische Bischöfe und 
irische Priester und Schutz der richterlichen Unabhängigkeit in der Person des 
schwer gekränkten Richters Keogh, der andere (der sog. irischen Brigade) ver- 
langt dagegen Absetzung des mißbeliebigen Richters wegen Mißbrauchs seiner 
Amtsgewalt und ungerechtfertigter Beleidigung des Priesterstandes einer an- 
erkannten Religion durch parlamentarischen Machtspruch. Der erstere Antrag 
ist durch die Maßregel der Regierung vom 23. d. M. inzwischen gegenstands- 
los geworden und wird daher fallen gelassen. Für den andern Antrag haben 
die Iren Hrn. Butt, den Urheber und Leiter der sog. Home-Rule-Bewegung, 
zu ihrem Führer erkoren. In Irland und vor dem irischen Publikum hatte er 
sich den Ruhm eines ausgezeichneten Redners und eines würdigen Nachfolgers 
O'Connel's erworben, rechtfertigt aber diesen Ruf mit seiner erstern größe- 
ren Parlamentsrede entschieden nicht, indem er von allen und einigen anderen 
Dingen spricht, dagegen in weiten Umkreisen um die eigentliche Frage herum- 
geht. Die Regierung Überläßt die Vertheidigung des Richters ihrem Attornay- 
General, Sir J. Coleridge, der den leichten Beweis liefert, daß das Unterhaus 
kein Disciplinargericht für die Richter und daher incompetent sei, selbst wenn 
der Antragsteller dargethan hätte, daß in diesem Falle Grund zum Einschreiten 
vorhanden wäre, was er jedoch nicht gethan habe. So eifrig ist er bemüht, 
die Debatte in trockenen juristischen Argumenten verlaufen zu lassen und von 
der cigentlichen Streitfrage abzulenken, daß ein anderer Advokat, Hr. James, 
seine Entrüstung nicht länger zurückzuhalten vermag und die principielle Be- 
deutung der Frage mit siegreicher Beredsamkeit vor das Haus bringt. Indem 
er das staatsgefährliche, Gesetz und Recht untergrabende oder hochmüthig mit 
Füßen tretende, Verfahren der katholischen Geistlichkeit aus den Gerichtsakten 
nach Verdienst brandmarkt, nimmt er sich des schmachvoll mißhandelten, mu- 
thigen und unparteiischen Richters mit einer Wärme an, die das schläfrige 
Haus elektrisirt und zu stürmischen Beifallsrufen hinreißt. Ueber den unmittel- 
baren Ausgang des Prozesses gibt er sich freilich keinen Illusionen hin. „Aber 
— so schließt er — es ist nicht die technische Verfolgung oder die Chance des 
Verdicts einer irischen Jury, worauf wir hoffen dürfen, um Schutz gegen die 
bestehenden großen Uebel zu finden, sondern die Stimme der öffentlichen Mei- 
nung, die sich in das Mittel legen muß. Daher hoffe ich, daß dieses Haus 
der öffentlichen Meinung einen furchtlosen Ausdruck geben wird, um jene über- 
mülhige Priesterherrschaft zu lehren, daß in diesem Lande keine andere Unter- 
thanen-Abhängigkeit als die vom Souverän, und kein anderer Gehorsam als 
der gegen die Gesetze geduldet wird.“ Die Debatte wird jetzt lebendig. Hr. 
Gladstone wünscht, sie auf die eine Sitzung zu beschränken, um ihre Trag- 
weite abzuschwächen; aber das Haus verlangt die Vertagung. 
6. Aug. Unterhaus: Der Minister Grant Duff legt demselben das indische 
Budget vor. Dasselbe weist für das Jahr 1870/11 einen Ueberschuß
	        
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