Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Trankreich. 
JFrrthümer und unsere Fehler; verhehlen wir uns nicht, daß wir jetzt außer 
Stand sind, sie wieder gut zu machen; arbeiten wir für die Zukunft durch 
die Reform der nationalen Erzichung und der Armee! Der Friede, ja, 
ich spreche es muthig aus, der Friede, und nicht die Revanche! Die wahre 
Revanche miüsssen wir an uns selber nehmen; die andere wird erst dann kom- 
men, wenn wir sie verdient haben werden. (Sehr gut! auf einigen Bänken.) 
Der Friede und die Anstrengungen einer ganzen, neuen Generation, vielleicht 
mehrerer Generationen, sind nöthig, um dieses große Ziel zu erreichen. Was 
die Armee insbesondere betrifft, so lautet mein Programm: persönliche Dienst- 
pflicht mit kurzer Frist, aber mit solideren Cadres, als wir bisher je besessen 
haben. Damit werden Sie in Frankreich das Ehrgefühl, die Vaterlandsliebe, 
den Sinn für das Waffenhandwerk wieder erwecken und die effektive Stärke 
der Nation verdreifachen. Arbeit, Wetteifer in der Arbeit werden Gehorsam 
und Zucht herstellen, besser als alle Reglements; denn an solchen hat es uns 
nie gefehlt. Wenn in dem letzten Krieg Ihre Marinetruppen allein noch Dis- 
ciplin besaßen, so kam dieß daher, daß sie gewohnt waren, von früh bis Abends 
zu arbeiten. (Sehr gut!) Ferner empfehle ich eine weise Decentralisation; die 
Executive muß vom Kriegsminister auf alle Corpscommandanten übergehen; 
die provinziellen Gruppen müsssen sich jeden Augenblick selbständig mobil machen 
können; dann werden Sie allezeit im Frieden für den, Krieg bereit sein. (Beifall.) 
Endlich mögen Sie die Armee in einer strengeren und erhabeneren Erziehung 
über die Heiligkeit Ihres Berufes belehren; Sie mögen ihr sagen, daß tapfer 
und stark diejenigen Truppen sind, welche arbeiten, gehorchen und zuversichtlich 
in das Feld ziehen, nachdem sie sich vor dem Gott der Armeen verneigt 
haben. Mit solchem Wirken werden Sie das wahre Genie der französischen 
Armee erkannt und das Vaterland gerettet haben! (Lebhafter Beifall.) Oberst 
Denfert-Rochoreau (der Vertheidiger von Belfort), nichts weniger als 
ein gewandter Redner, und daher häufig unterbrochen und noch öfter durch 
die Unruhe des Hauses Übertäubt, bekämpft namentlich das System des „pas- 
siven Gehorsams", welches den Soldaten „verdumme" und zum blinden Werk- 
zeug aller Staatsstreiche mache. (Sehr gut! links.) Die Disciplin schließe das 
selbständige Denken und die individuelle Verantwortlichkeit des Soldaten nicht 
aus: die intelligente Initiative jedes einzelnen Gliedes sei der Grund der stau- 
nenswerthen Erfolge der deutschen Armee in dem letzten Kriege gewesen. Zum 
Belege dessen verliest Redner mehrere Stellen aus den Berichten des Oberst 
Stoffel und aus einem Werke des Grafen Moltke, in welchem letztern es heißt: 
„Der preußische und Überhaupt der deutsche Soldat bringen, wenn sie unter 
die Fahne kommen, mit wenigen Ausnahmen einen Grad von Bildung mit, 
der in intellektueller Hinsicht die deutsche Armee über alle andern stellt. Diese 
Ueberlegenheit tritt namentlich bei den Unteroffizieren hervor, an welche man 
bei uns größere Ansprüche macht und die im Durchschnitt unterrichteter sind, 
als die aus dem Unteroffizierscorps hervorgegangenen französischen Offiziere, 
da die letzteren nur den schlechten französischen Elementar-Unterricht genossen 
haben.“ (Genug! Lärm.) General Changarnier, in zornigem Tone: Ob- 
gleich ich während der Belagerung von Belfort keine Casematte dieser Festung 
bewohnt habe, glaube ich doch auch etwas von dem Verhältnisse zu verstehen, 
welches zwischen dem Soldaten und seinem Vorgesetzten obwalten soll. Der 
Vorredner bezieht sich auf Instruktionen des Grafen Moltke; in diesen spricht 
aber unser gewandter Gegner nirgends von der Disciplin, die er als etwas 
Selbstverständliches voraussetzt. An diese Disciplin kann ein alter Soldat, 
wie ich, nicht rühren lassen; entweder der Gehorsam ist ein passiver, oder er 
existirt gar nicht. Für den Soldaten ist der Offizier das lebendige Gesetz. 
Wenn ich am 2. Dezember widerrechtlich verhaftet worden bin, so mache ich 
nicht diejenigen, welche die Arrestation vollzogen haben, sondern den Kriegs- 
minister dafür verantwortlich; jene thaten ihre Pflicht, indem sie diesem ge- 
horchten. (Lebhafte Zustimmung rechts und im Centrum: Widerspruch links.) 
  
 
	        
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