Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Trankreich. 397 
war, zu Theil werden zu lassen. Die Masse der „Exemptionen“ ist so groß, 
daß dir Ausnahmen zur Regel werden. Dazu kommt die fünffjährige Dienst- 
zeit und die Erfindung, das Jahres-Contingent in zwei Hälften zu theilen, 
von denen die eine nur sechs Monate oder ein Jahr im aktiven Dienste bleiben 
soll. Kurz, das Ganze ist auf die möglichst rasche Herstellung eines schlag- 
fertigen Berufsheeres angelegt. Die Abneigung des Hrn. Thiers gegen die 
„Nation in Waffen“ erklärt sich übrigens nicht bloß aus Motiven der inter- 
nationalen Politik. Eines paßt nicht für Alle, und es entgeht dem Präsi- 
denten der Republik nicht, daß in Frankreich, wo jede Achtung vor der Au- 
torität abhanden gekommen und der Geist des Volkes durch subversive Ideen 
alterirt ist, die „Nation in Waffen" leicht die permanente Revolution sein würde. 
18. Juni. Nat.-Versammlung: Die Führer des rechten Centrums versuchen 
wiederholt umsonst, das linke Centrum für den von ihnen beschlossenen 
Schritt bei Hrn. Thiers zu gewinnen. 
19. „ Die sog. Unterrichtsliga überreicht durch Vertreter der verschiedenen 
republikanischen Fraktionen der Nationalversammlung die von ihr be- 
triebene Petition zu Gunsten der allgemeinen Schulpflicht. Dieselbe 
enthält für den obligatorischen Unterricht allein 116,105, für den 
obligatorischen und unentgeltlichen Unterricht 383,391, für den obli- 
gatorischen, unentgeltlichen und confessionslosen Unterricht 348,265, 
zusammen 847,761 Unterschriften. 
„ „ Die reformirte Synode nimmt mit 61 gegen 45 Stimmen das 
orthodoxe Glaubensbekenntniß an. Die liberale Minorität gibt dagegen 
eine Erklärung ab. 
Glaubensbekenniniß der orthodoxen Mehrheit: „Im Augen- 
blicke, wo die reformirte Kirche, die seit so vielen Jahren unterbrochene Reihen- 
folge ihrer Synoden wieder aufnimmt, fühlt sie vor Allem das Bedürfniß, 
Gott ihren Dank abzustatten und Jefus Christus, ihrem göttlichen Oberhaupte, 
das sie während ihrer Heimsuchung unterstützt und getröstet hat, ihre Liebe 
f- zu bezeigen. Sie erklärt, daß sie den Glaubens= und Freiheitsprinzipien ge- 
treu bleibt, auf denen sie gegründet wurde. Mit ihren Vätern und Martyrern 
in dem Glaubensbekenntnisse von La Rochelle, mit allen Kirchen der Refor- 
mation in ihren verschiedenen Symbolen verkündigt sie die souveräne Autoritat 
der heiligen Schriften in Glaubenssachen und das Heil durch den Glauben 
an Jesus Christus, einigen Sohn Gottes, gestorben für unsere Sünden und 
auferstanden für unsere Rechtfertigung. Sie bewahrt also und erhält aufrecht 
als Grundfeste ihrer Lehren, ihres Cultus und ihrer Disciplin die großen 
christlichen Thatsachen, welche in den Sakramenten dargestellt, bei ihren reli- 
giösen Festen gefeiert und in den Liturgien, namentlich in der Beichte der 
Sünden, in dem apostolischen Symbol und in der Liturgie des heiligen 
Abendmahls ausgedrückt werden.“ Erklärung der liberalen Minder- 
heit: „Die Unterzeichneten, Pastoren und Laien, Deputirte bei der Synode 
von Paris, eignen sich die folgenden Erklärungen des Consistoriums von Lyon 
an: In Erwägung, daß nach der Art und Weise, wie die Gemeinden gruppirt 
sind, um besondere Consistorien zu bilden, und daß in Folge des Abstimmungs- 
modus, nach welchem die vorletzten Versammlungen constituirt wurden, die 
allgemeine Synode nicht die wahre Vertretung der Kirchen ist, erklärt das 
Consistorium, daß es den Beschlüssen nur einen rein berathenden Charakter 
beimessen kann. Das Consistorium protestirt im Voraus und ganz besonders 
gegen jeden Versuch, welchen die Synode machen könnte, die reformirte Kirche 
in Frankreich, z. B. durch Aufstellung eines obligatorischen und exklufiven 
Glaubensbekenninisses, zu spalten; und es erklärt, daß es entschlossen ist, alle 
 
	        
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