Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Trankreich: 
Prlfung aus derselben 42 Millionen sofort zu schaffen seien, ohne deßhalb 
wegen der bestehenden Handelsverträge internationale Schwierigkeiten hervor- 
zurufen, und daß weitere 18 Millionen sofort nach Ablauf der bereits gekün- 
digten englischen und belgischen Handelsverträge hinzugefügt werden könnten. 
Da man aber aus dieser Steuer 93 Millionen erzielen wolle, würde es di- 
plomatischer Unterhandlungen bedürfen, um die fehlenden 33 Millionen flüssig 
zu machen. Den neuen Steuerzuschlag auf die vier direkten Steuern schätzt 
der Minister auf 48 Millionen und die Erhöhung des Salzpreises auf 30 
Millionen. — Das Projekt der Regierung, das auf die Nohstoffsteuer zurück- 
kommt, wird indeß von der Kammer mit so deutlichem Mißfallen ausgenom- 
men, daß auf einen Wink des Hrn. Thiers der Finan zminister sich beeilt, 
hinzuzufÜgen, die Steuerzuschläge sollten nur „provisorisch“ erhoben werden, 
was ein Deputirter mit dem sarkastischen Nufe begleitete: „Ein loyaler Steuer- 
versuch!“ Herr de Goulard wird von der Kammer mit frostiger Ruhe an- 
gehört; nach Beendigung seiner Rede aber bricht ein so heftiger Tumult aus, 
daß Benoist-d'Azy, der Referent der Commission, zwanzig Minuten lang 
nicht zum Wort kommen kann. Derselbe verlangt die Vertagung der Dis- 
cussion Üüber die Steuergesetze, bis die Commission die neue Regierungsvorlage 
geprüft habe. Hierauf erklärt Dupont, daß es die Pflicht der Versammlung 
sei, alle Steuern zu discutiren, Über die bereits fertige Berichte vorlägen, mit 
der Rohstoffsteuer aber sich nur zu beschäftigen, falls die andern Steuern un- 
zureichend seien, das Budget ins Gleichgewicht zu bringen. Unter lautem 
Beifall der rechten und des rechten Centrums erinnert der Redner daran, daß 
die Kammer in der denkwürdigen Sitzung vom 19. Januar jenes System 
verworfen habe, also nur im äußersten Nothfall auf dasselbe und zwar ledig- 
lich als auf ein secundäres Aushilfsmittel zurückkommen dürfe. Die Rechte 
weiß sich kaum vor Freude zu fassen, Hr. Thiers aber steigt auf die Tribüne 
mit jenem nervösen Zucken des Gesichts, welches die „Cabinetsfrage“ anzu- 
kündigen pflegt. Diesmal jedoch beherrscht er sich noch und geht nicht so weit. 
Er empfiehlt die Rohstoffsteuer, die nach den Berechnungen der Tariscommission 
eine Reihe von Jahren hindurch nur 6 Millionen, seiner eigenen Ansicht nach 
aber schon vom 1. Januar 1873 an 60 Millionen ergeben wird, als die 
einzige, die alle Deficits decken würde. Nun aber tritt Hr. Buffet im 
Namen der Commission mit der Erklärung auf, daß weder er noch jene die 
Lage annehmen könne, die ihnen durch die Regierung geschaffen werde. Nach 
dem Votum vom 19. Januar habe die Commission geglaubt, die Rohstoff- 
steuer werde ihr nur als äußerster Nothbedarf wieder vorgelegt werden, und 
im Vertrauen darauf habe sie sich nicht weiter mit dieser Steuer beschäftigt. 
Die Regierung, welche im Voraus und ohne sie zu kennen die Arbeiten der 
Commission kritisirte und hinter dem Rücken der letztern mit neuen Anträgen 
komme, mische sich gewissermaßen in die Funktionen der Commission und be- 
reite ihr eine unmögliche Lage. Die von der Rechten gesuchte Gelegenheit, 
der Regierung eine Niederlage zu bereiten, schien sich gefunden zu haben und 
ist für jene Partei um so günstiger, als die Rohstoffsteuer durchaus unpopulär 
ist. Aber Hr. Thiers, der bei dem heftigen Ausfall Buffet's vollkommen 
Herr seiner selbst bleibt, weiß die Gefahr zu beschwören. Er erklärt, nach 
dem Votum vom 19. Januar seine Demission nur in der Hoffnung zurück- 
genommen zu haben, daß die fragliche Steuer einer neuen Prüfung unterzogen 
werde. Die Commission sei allen Vorschlägen der Negierung gegenüber taub 
geblieben und habe absichtlich es vermieden, sich mit ihr ins Einvernehmen zu 
setzen. So habe er die Initiative ergriffen, das sei sein Recht und seine Pflicht. Er 
verlangt ein Votum über die Steuer — sei es für oder gegen — und er ist 
Üüberzeugt, daß die Kammer schließlich doch seiner Ansicht beitreten werde! Und in 
der That gibt ihm dieselbe in so fern schon ein wenig nach, als sie beschließt, 
daß die Anträge der Regierung zu einer summarischen Prüfung an die Com- 
mission gehen und mit den übrigen Projekten zur Debatte gestellt werden sollen.
	        
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