Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Zrankreich. 427 
jenige von 1874 ganz gewiß in vollem Gleichgewicht abschließen wird; dann wird 
in Beleuchtung des Liquidationscontos eine Reihe von Creditannullirungen, 
jedoch ohne nähere Details, aufgezählt, worauf die Botschaft zu dem Handels- 
vertrag mit England Übergeht, dem Ergebniß langer und müchseliger Unter- 
handlungen, dessen Inhalt analysirt wird. Hr. Thiers fährt dann fort: „Wir 
haben Ihnen, m. H., genau die wahre Lage des Landes dargestellt und uns 
besonders über seine finanzielle und commercielle Lage verbreitet, weil es auf 
diese am meisten für unsern Credit ankommt, und weil der Credit und die 
Armee, welche letztere sich mit merkwürdiger Schnelligkeit wiederherstellt, die 
beiden Elemente unserer Macht sind. So konnte Frankreich nach dem unglück- 
lichsten Kriege, nach dem schrecklichsien Bürgerkriege, nach dem Zusammenbre- 
chen eines Thrones, den man für stark gehalten hatte, es erleben, daß alle 
Völker sich beeiferten, ihm ihre Kapitalien anzubieten, daß sein Credit auf 
stärkeren Grundlagen ruhle als je, acht Milliarden in zwei Jahren albgezahlt 
sind, der größte Theil dieser Summen ohne Störung des Geldverkehrs nach 
dem Ausland transportirt worden ist, das Bankbillet an Geldesstatt angenom- 
men wird, die Steuern, obgleich um ein Drittel erhöht, ohne Ruin für den 
Steuerpflichtigen erlegt werden, 200 Millionen der Amortisirung zugewendet 
werden können und dabei Handel und Gewerbe sich in einem Jahr um mehr 
als 700 Millionen vermehren. Diese Resultate, die wir Ihnen gar nicht zu 
unterbreiten wagten, wenn sie nicht der schlagende Beweis der Lebenskraft des 
Landes wären — wem danken wir sie, m. H. Wir danken sie einem ein- 
gigen Grunde, der energischen Aufrechterhaltung der Ordnung. Ja, die 
Ordnung hat es gemacht, daß unmittelbar nach dem Krieg und Bürgerkrieg. 
während die fremden Soldaten noch unsern Boden besetzt halten und die Ruinen 
unserer Städte noch rauchen — die energisch aufrecht erhaltene Ordnung, wie- 
derhole ich, hat es möglich gemacht, daß Frankreich so viele Erzeugnisse her- 
stellen und so viel Credit finden konnte, wie in den gedeihlichsten Zeitläuften 
seiner Existenz. Ich werde nicht müde werden, es zu wiederholen: wenn Sie 
nicht im Vollgenuß der Ordnung gewesen wären, hätten dieser Krieg mit 
seinen beispiellosen Niederlagen, diese grausame Zerstückelung unseres Landes, 
diese erschreckenden Lasten, welche unsere Kräfte zu Übersteigen schienen, dieser unter 
der Last seiner Fehler zusammenbrechende Thron, diese altehrwürdige Form der 
Monarchie, unter welcher wir zu leben gewohnt waren und die nun plötz- 
lich verschwand, diese neue Form der Republik, welche bei ihrem Auftreten die 
Gemüther nur zu beunruhigen pflegt, alles dieß auf einmal über unser über- 
raschtes und trostloses Land hereinbrechend, unrettbares Verderben nach sich 
ziehen können. Mit der Ordnung dagegen öffneten sich wieder unsere Werk- 
stätten, die Urmen nahmen ihre alte Thätigkeit wieder auf, die fremden Kapi- 
talien, weit entfernt, uns zu fliehen, die französischen Kapitalien, weit ent- 
fernt, sich zu verbergen, kamen zu uns, die Ruhe erschien mit der Arbeit wie- 
der, und schon richtet Frankreich das Haupt empor und erträgt, zwar ohne 
sie zu vergessen, untröstliche Schmerzen; nicht minder erstaunlich eine Regie- 
rungsform, welche es sonst schwer zu verwirren pflegte, beginnt sich jetzt 
allmählich bei ihm einzubürgern, hindert es wenigstens nicht zum Leben, 
zur Hoffnung, zum Vertrauen zu genesen — einem Vertrauen, welches Frank- 
reich auch anderen einflößt, wenn es nur selbst von ihm erfüllt ist. Und da 
ich denn nicht umhin kann, die brennenden Fragen des Tages zu berlhren, 
so möchte ich denjenigen, für welche die Republik schon seit langer Zeit 
das Regierungsideal und die geeignetste Staatsform für den Fortschritt der 
modernen Gesellschaften ist, zurufen: „Sie zumal sollten der Ordnung mit 
Leidenschaft ergeben sein; denn wenn die Republik, mit der es schon zweimal 
vergeblich versucht worden ist, dießmal sich bewährte, so wäre dieß nur der 
Ordnung zu danken. Die Ordnung also sollte Ihre tägliche Sorge und Ihr 
tägliches Trachten sein. Wenn die Ausübung gewisser Rechte, welche den freien 
Völkern zustehen, das Land in Unruhe versetzen kann, nun, so seien Sie weise
	        
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