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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Juli 1870. Die 3 abtrünnigen Patrioten werden noch am Abend
dieses Tages durch einstimmigen Clubbeschluß von der Partei aus-
geschlossen.
Das Mehrheitsgutachten der Commission stützt sich darauf, daß in
sormeller Beziehung alle Voraussetzungen für Anerkennung der Beschwerde des
Bischofs gegeben seien, welche die Verfassungsurkunde Tit. VII § 21 und die
Geschäftsordnung der Kammer verlangen, motivirt dies in eingehendster Weise,
und geht sodann auf die Bestimmungen des Concordats ein, welche die Ein-
mischung der Staatsgewalt in die äußeren Rechtsverhältnisse in Beziehung auf
Religion und kirchliche Gesellschaften des Staates regelt, betont, daß dem Staate
kein Recht zu einem Eingriff in die inneren Glaubenssätze der Kirche zusleht,
der vorliegende Fall aber lediglich in das Gebiet des Glaubens und der kirch-
lichen Disciplin fällt, und deßhalb der dem Pfarrer Renftle gewährte Schutz
gegen die klaren Bestimmungen des Concordats verstoße. In Anbetracht dicser
Umstände beantragt es, die Beschwerde des Bischofs von Augsburg für be-
gründet zu erachten und an Se. Majestät den König die Bitte zu richten: den
vorliegenden Beschwerden Abhilfe verschaffen zu wollen. Das Minderheits-
gutachten dagegen bezeichnet zunächst die Beschwerde als formell unzulässig,
da der Bischof den vorgeschriebenen Instanzenzug nicht erfüllt habe. Sodann
wird zur Beurtheilung über die Gesetzmäßigkeit des Verhaltens der Staats-
regierung geschritten und werden dabei folgende Sätze aufgestellt und begründet.
Nach der bayerischen Verfassung sei die Staatsgewalt nicht die blinde Voll-
streckerin der kirchlichen Urtheile, sondern gemäß ihres Oberaufsichtsrechts über
die Kirche und ihrer Schutzpflicht über die einzelnen Kirchengenossen zur Prü-
fung der zu vollziehenden Verfügungen der Kirchengewalt befugt. Im vor-
liegenden Falle stehe fest, daß die kirchliche Bestrafung und Absetzung Renftle's
deßhalb erfolgt sei, weil derselbe den Beschlüssen des vatikanischen Concils die
Anerkennung versagt habe. Würde also jenes Urtheil vom weltlichen Arm
vollzogen werden, so würde dadurch mittelbar ein Vollzug dieser Conilsbeschlüsse
stattfinden. Hiezu sei aber die Staatsregierung rechtlich außer Stande, weil
jene Beschlüsse die königliche Genehmigung (das Placet) nicht erlangt hätten
und folglich gemäß 83 58 der II. Verfassungsbeilage in Bayern nicht vollzogen
werden dürften. In der Beobachtung dieser Verfassungsbestimmung könne
demnach eine Verletzung der Verfassung unmöglich liegen. Es wird sodann
gegenüber dem Einwande, als ob das Placet auf Glaubenssätze keine An-
wendung finde, aus dem Inhalte der Verfassungsurkunde, aus dem schon vor-
her in Bayern geltenden Rechte und aus den Schriften der Rechtslehrer dar-
zuthun gesucht, daß dasselbe sich auf alle Kirchengesetze beziehe, welchen Inhalt
dieselben immer haben mögen. Selbst wenn aber die behauptete Einschränkung
des Placet bestünde, so würde doch jedenfalls die Staatsgewalt allein zu ent-
scheiden haben, ob eine kirchliche Verordnung das weltliche Gebiet berühre, weil
sonst der Staat der kirchlichen Gewalt untergeordnet würde. Im vorliegenden
Falle habe nun der Erzbischof von Bamberg durch die Nachsuchung um das
königliche Placet bereits die Nothwendigkeit der Einholung desselben anerkannt;
die königliche Staatsregierung aber habe dasselbe verweigert. Diese Verwei-
gerung sei durch ihre Pflichten gegen den Staat, dessen Verfassung und dessen
Regenten geboten gewesen. Denn die vatikanischen Dekrete griffen nicht
nur in das weltliche Gebiet über, sondern stellten den Rechtsbestand
des bayerischen Staates geradezu in Frage und enthielten An-
sprüche der Kirche, mit welchen das Wesen eines jeden Staates
unverträglich sei, foferne er sich nicht willenlos den obersten
Befehlen des römischen Papstes in geistlichen und weltlichen
Dingen unterwerfen wolle. Dieser Gegensatz wird ausführlich dar-
gelegt, insbesondere werden mit Rücksicht auf verschiedene mißbilligende Aeuße-
rungen der römischen Curie Über das bayerische Religions = Edikt die neuen