Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Ktalien. 449 
Auch in anderen Städten wollen sie sich nicht länger bloß passiv ver- 
halten, wollen sich sogar in Rom mit den Liberalen messen und er- 
lassen einen dießbezüglichen Aufruf. 
15. Juli. Bei den Gemeindewahlen sind die Clericalen meist gänzlich unter- 
legen, wie namentlich in Venedig und Verona. Beis jetzt haben sie 
nur in Nola und Gasta und auch da nur theilweise gesiegt. 
29. „ Wiederum werden in Nom drei Klöster expropriirt, darunter auch 
ein Theik des Profeßhauses der Jesuiten. 
4. Aug. Die Clericalen unterliegen auch bei den Gemeindewahlen in Rom: 
24 Bureaux werden in liberalem und 1 in clericalem Sinn bestellt. 
1. Sept. Bei den Gemeindewahlen in Neapel siegen wenigstens überwie- 
gend die Clericalen nach einem überaus heftigen Wahlkampf, an dem 
nicht weniger als 93 % aller Stimmberechtigten sich betheiligen. 
12. Ock. Die Regierung läßt dem Papst offiziell anzeigen, daß seine 
dießjährige Civilliste im Betrage von 3,225,000 Fr. zu seiner Verfügung 
stehe. Der Papst lehnt die Annahme auch dieses Jahr wieder, wie 
schon im vorigen, ab, weil er nach seiner Auffassung dadurch das 
Garantiegesetz anerkennen würde. Somit liegen vorerst im General- 
depot bereits 6,500,000 Fr. für Pius IX. bereit, über die er ver- 
fügen kann, sobald er will. 
„Die öffentliche Meinung Italiens wird durch die nichts weniger 
als freundliche Haltung der französischen Regierung gegenüber dem 
Königreich Italien, die ihre Erklärung in der öffentlichen Meinung 
Frankreichs und in den ausgesprochenen Bestrebungen der verschiedenen 
dortigen Parteien, namentlich auch der so einflußreichen clericalen, 
findet, beunruhigt und gereizt, obgleich es im Einzelnen nur Nadel- 
stiche Frankreichs sind, die Italien fühlt. 
Dieser Nadelstiche ist freilich eine ganze Reihe. Mit beleidigender Zöge- 
rung verfuhr Frankreich bei Bevollmächtigung eines Gesandten beim italieni- 
schen Quirinal, dessen Existenz so lange zu ignoriren sie sich das Ansehen gab, 
bis die Reise des preußischen Prinzen Friedrich Karl nach Rom das längere Vor- 
handensein einer solchen Lücke der Versailler Regierung bedenklich erscheinen ließ; 
denn sie mußte eine noch größere Intimität zwischen Italien und dem deutschen 
Reiche befürchten, falls nicht ein französicher Diplomat am Orte selber Gelegenheit 
fände, diesen Tendenzen mit Eifer und Nachdruck entgegen zu arbeiten. Dann 
wiederum schickte man von Marseille aus Mineurs nach dem französischen Ende 
des Mont-Cenis-Tunnels, um gelegentlich im Stande zu sein, diesen Wunder- 
bau zu verschütten. Man gab sich hiebei das Ansehen, in den Uebungsma- 
növern der italienischen Armee verdächtige Demonstrationen gegen Frankreich 
zu wittern. Kaum hatte man darüber Verständigungsnoten ausgetauscht, so 
accreditirte Thiers beim Papste einen militärischen Gesandschafts-Attaché. Was 
in aller Welt, fragte das mißtrauische Italien, soll diese Ernennung bei einem 
Hofe bedeuten, dessen Territorialbesitz auf die Gärten des Vatikans beschränkt 
ist : Man faßte den Schritt also als eine boshafte Demonstration auf, welche 
in kleinlichster Weise darlegen sollte, wie weit die französische Regierung davon 
entfernt sei, die in Rom herrschende italienische Regierung als dort rechtszu- 
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