Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
ihr Oberhaupt? die kirchentreuen Katholiken? haben es wir gethan oder an- 
dere? Ich kenne Ihre Manöver und bin der Ueberzeugung, Sie glauben in 
Ihrem innersten Herzen an die Staatsgefährlichkeit selber nicht. Auch 1848 
war ein großer Sturm im Werke; damals warf man der Kirche vor, durch 
ihre Lehre vom unbedingten Gehorsam knechte sie die Völker. Jetzt macht 
man ihr den entgegengesetzten Vorwurf der Staatsauflösung, jetzt ist, um mit 
der Fabel zu sprechen, der Fuchs des Nationalliberalismus in die Kutte ge- 
krochen und auf's Predigen gegangen. (Sehr gut! rechts, Heiterkeit links.) 
Um das Schicksal der andächtigen Zuhörer habe ich mich nicht zu kümmern, 
aber ich glaube, wir dürfen es nicht dulden, daß die Staatsregierung mitthut, 
Seitdem der Hr. Cultusminister im Reichstage zu Berlin, vielleicht im Mo- 
mente der Verlegenheit, zugestanden hat, daß er seine kirchenrechtlichen Studien 
unter der Leitung Döllinger's betreibe, kam mir der Gedanke, die Bewegung 
könnte einen geheimen Nath im Scheße der Staatsregierung haben. Aus 
dem stenographischen Vericht über die Altkatholikenversammlung habe ich ent- 
nommen, „daß ein sehr hochgestellter Mann den Rath gegeben habe, die Alt- 
katholiken sollten nur fleißig die Kirchen besuchen, um zu erkennen zu geben, 
daß sie auf das Recht, Katholiken zu sein, nicht verzichtet hätten“. Ich kann 
dem Hrn. Dr. Völk das Zeugniß nicht versagen, daß er damals in der Sache 
einen offenen, ehrlichen Standpunkt eingenommen hat, der noch am ehesten 
den Frieden, im Staate wenigstens, herbeigeführt hätte. Hr. Dr. Völk hat 
nämlich mit deutlichen Worten gesagt: Nachdem nun durch die vorangegangene 
Manifestation jeder Einzelne aus der Kirche heraustritt, so versteht sich mein 
Antrag von selbst, daß eine neue Gemeinde an die Stelle der alten gesetzt 
werde. Dieser offene Rath hat aber dem Hrn. v. Döllinger und dem geheimen 
Rathe im Schoße der k. Staatsregierung nicht gefallen, und warum nicht? Hr. 
v. Döllingir hat wiederholt gesagt: Wenn ihr über die Grenzen des Noth- 
standes hinausgeht, werden wir nicht mehr für Katholiken angesehen, sondern 
als Härctiker. Die Herren wollten den Völk'schen Antrag nicht annehmen, 
weil es dann der Staatsregierung schwer, ja unmöglich geworden wäre, der 
katholischen Kirche ihre garantirten Rechte ferner zu verweigern. Sie hätte 
dann die neue Gemeinde als neue, sich bildende Religionsgesellschaft zu be- 
handeln gehabt. Wenn der Hr. Cultusminister am Schlusse seiner Interpel- 
lationsbeantwortung gesagt hat, er werde die Hand bieten zu Gesetzen, welche 
das Verhältniß zwischen Kirche und Staat regelten, so glaube ich, daß diese 
Hände nicht die rechten sind; wir müßten jedenfalls andere Hände haben, diese 
sind nicht mehr frei, sondern gebunden, sie sind nicht mehr rein, sondern haben 
sich schon einmal compromittirt.“ (Bravo! rechts, Oho! links.) Ihm ant- 
wortet Prof. Sepp, dem als einem eifrigen Katholiken man es anhört, wie 
schwer es ihm wird, gegen seine bisherigen Freunde zu sprechen. „Wer immer, 
meint er, den Wind gesäet hat, der Sturm ist da, der Hauptsturm wird aber 
noch nachkommen: vielfach ist nach den fortwährenden Hetzereien der Presse 
auf beiden Seiten der Familienfriede gestört, und dafür bietet man heute 
einen Sturm im Glase Wasser. (Gelächter.) Man bietet uns heute die Rolle 
des heil. Florian, nachdem man den Brand hineingeschleppt hat; man bictet 
uns den gefährlichsten Kirchenstreit unter dem ungefährlichen Silhouette eines 
Meringer Kirchenstreits. Das letzte Concil hatte außer allem Zweifel den 
Zweck, das Concil von Constanz todt zu machen, Unterziehen wir doch das- 
selbe einer kurzen Betrachtung. Es waren ca. 500 Bischöfe in partibus dort- 
selbst, Bischöfe, die keine Diöcese haben, gleichsam Bischöfe à la suite (Heiter- 
keit), die gleich anderen Bischöfen mit sehr bedeutenden Diöcesen über das be- 
kannte Dogma gleichberechtigt abstimmten. Es ist, mit einem Worte, das 
ganze allgemeine Concil in seiner hier bezüglichen Abstimmung eine göttliche 
Ironie und heißt nichts anderes, als dem heil. Geiste die Arbeit erleichtern ! 
(Heiterkeit.) Der Minister hätte, als die Bischöfe vom Concil zurückkamen, 
an jeden derselben einen Abgesandten schicken sollen behufs Einholung einer
	        
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