Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 43
Erklärung des Dogma's. Es würde die Zusammenstellung dieser Anlworten
eine wahre Musterkarte werden. Dem ganzen Dogma zufolge scheine ihm
der Papst mehr zu sein als selbst Christus, da Christus selbst gesagt hat:
„Niemand gibt Zeugniß von sich selbst“". (Unruhe.) Wen haben die Herren
eigentlich hinter sich: Die Univerfitäten, höheren Schulen und Anstalten, den
wohlhabenden Bürgersland O nein! Allenfalls steht noch ein Theil des
Landvolkes hinter ihnen, weil es eben nicht genügend unterrichtet ist. (Geläch=
ter.) Doch wozu können derartige Auseinandersetzungen überhaupt nur führen?
Ich bin überzeugt, daß ein großer Theil unserer Bischöfe nicht daran denkt
das zu glauben, was ihnen zu glauben geboten wird. (Pfui, rechis.) Ich
werde es beweisen. Ein hoher Mitraträger hat erklärt: „Ich habe in Rom
zur Opposition gehört, und wenn ich heut wieder nach Nom komme, so ge-
höre ich wiederum zu dieser Partei.“ (Unruhe.) Redner (nach der rechten
Seite gewendet): Glauben Sie, m. HH., denn daran? (Rufe: jal jal Un-
ruhe.) Präsident: Ich bitte den Redner, nicht derartige Fragestellungen
vorzunehmen. Dr. Sepp fährt fort: Ich habe durchaus nicht Unrecht mit
meiner Frage gehabt. Täglich hört man jetzt von Häresie sprechen. Was ist
nun leichter: ein Buch über die bekannte Lehre oder üÜber die Blatternkrankheit
der Häresie innerhalb der Kirche zu schreiben (Heiterkeit), und in demselben
die herrschenden Mißstände selbst zu geißeln Die Frage ist nicht schwer zu
beantworten. Was ist denn eigentlich ein Häretiker! Darunter wird man
allgemach hauptsächlich die Anhänger der deutschen Wissenschaft zu verstehen
haben. Und warum dieser Zustand 7 Darauf gibt es nur die eine Antwort:
die deutsche Wissenschaft wird von den Römern geschmäht, lediglich deßhalb
weil fie dieselbe nicht verstehen. Redner geht nunmehr zu den jüngst erfolgten
Excommunicationen über, und gibt der eigenen Ueberzeugung Ausdruck, daß
dieselben recht gut zurückgenommen werden könnten. Warum, meint er,
kommen denn solche Vorfälle beispielsweise nicht in Böhmen vor7 Wahr-
scheinlich, weil dort keine eigene Nuntiatur ist. Redner erkennt in den ganzen
kirchengeschichtlichen Vorgängen der Jetztzeit etwas providentielles, erinnert an
eine alte Prophezeiung, daß die Kirche nur bestehen werde von Petrus I. bis
Petrus II., welch' letzterer ebenso lange auf dem Stuhl Petri sitzen werde
als ersterer, und glaubt sich keiner Täuschung hinzugeben in der Annahme,
daß ebenso fiegreich wie die deutschen Waffen aus dem jüngsten Kriege hervorgin-
gen, auch die deutsche Wissenschaft der römischen Hierarchie gegenüber sein werde.
(Bravo links.) Von der durch das bekannte Dogma im 19. Jahrhundert
hervorgerusenen Kirchenspaltung und ihrem eigentlichen Urheber, dem jetzigen
Papst, werde man aber nicht nur allein sagen: „il grande devastatore della
chiesa“. (Bravo links, Unruhe rechts.) Was bleibt uns nun zu thun?
schließt Redner seinen 1½ stündigen Vortrag, und antwortet auf diese selbst-
gestellte Frage folgendermaßen: Angesichts der drohenden Gefahr der Spaltung
der Kirche, der wachsenden Aufregung im Volke, der Gefahr für die höheren
Unterrichtsanstalten, Universitäten, Gymnasien u. s. w. solle an Se. Maj. den
König die Bitte gerichtet werden: er möge die sofortige Ausführung des § 56
der II. Verfassungsbeilage, „die Wiederherstellung von Kirchenversammlungen
betreffend“ wie solche unter Karl dem Großen stattgefunden haben, anbefehlen,
damit in diesen Versammlungen die Widerherstelluug der Ordnung im Kirchen-
wesen berathen werde. Redner verheißt die Einbringung eines dießbezüglichen
sormellen Antrags.
Staatsminister v. Lutz: Wir stehen vor einer einfachen Rechtsfrage,
die sich in der That mit wenig Deduktionen darlegen läßt. Es hat aber der
Debatte nicht an allgemeineren Beziehungen gefehlt, die über das Gebiet der
Rechtsfrage hinausführen, die ich unmöglich unberücksichtigt und unbeantwortet
lassen kann. Aus den in den Versammlungen dieses Hauses gehaltenen Reden,
und aus dem, was ich aus den Erläuterungen der Presse und andern Er-
örterungen ersehen konnte, ergibt sich ein Bild, das in Beziehung auf die