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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
schwebenden Fragen voll der schwersten Vorwürfe für uns ist. Gefiatten Sie
mir der Versammlung dieses Bild in wenigen Zügen zu reproduciren. Man
sagt: das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit habe lediglich auf die
inneren kirchlichen Angelegenheiten Bezug, dieselbe sei auf einem Wege und
in einem Verfahren zur Dogmatisirung gelangt, welches der katholischen Kirche
entsprechend sei; daß die Stellung der Regierung eine geradezu feindliche seie
der Kirche gegenüber, und daß die Regierungen anderswo warteten ehe sie in
der Weise wie in Bayern vorgehen; es sei ein Grund zu solchem Verhalten
gar nicht vorhanden. Rom habe gesprochen, und damit sei der Streit für
die Kirche aus, und entschieden sei hiebei eine Angelegenheit, die nur das
innerste Wesen der Kirche berühre; bei diesem Schritt habe sich die Kirche
nur auf ihrem unzweifelhaften Gebicte bewegt. Namentlich sei es Pflicht
jedes guten Katholiken, sich der Entscheidung der Kirche zu unterwerfen. Und
nunmehr habe jeder Katholik das Recht, in seinem Glauben an die richtige
Entscheidung geschützt zu werden. In diesem Sinne habe sich die Geistlichkeit
größtentheils unterworfen, und zwar, wie von einer Seite mit großer Ent-
schiedenheit behauptet wird, auf Grund eines freien unerzwungenen Entschlusses.
In diese Entscheidungen und in die daraus gezogenen Folgerungen habe der
Staat kein Recht darein zu reden. Ueberdieß sei das Dogma auch in politi-
scher Beziehung ganz unbedeutend, es sei nichts als Verleumdung, wenn man
sage, daß aus dem Dogma für das politische Gebiet im Ernste bedenkliche
Folgerungen gezogen werden könnten. Gleichwohl habe die bayerische Re-
gierung Stellung genommen gegenüber der Lehre von der Unfehlbarkeit der
Päpste; die Regierung maße sich an, den Glauben der katholischen Kirche zu
corrigiren, sie wolle dem Kanzelredner vorschreiben was er predigen dürfe,
und was nicht. Um ihre Zwecke zu erreichen, mißbrauche sie das verfassungs-
mäßige Institut des Placetum regium; man demonstrirt andrerseits; es dürfe
für die kathotische Kirche kein Placet geben, und gebe in der That keines,
und stütze sich dabei auf sonderbare Gründe, das Placet erleide z. B. keine
Anwendung auf dogmatischem Gebiete. Die Regierung habe deßhalb tollkühn
die Gefahr erst gemacht, indem sie gegen eine solche, die nicht existirte, sich
rüsten wolle. Das, m. HH., ist das eine Bild, welches man von dem Ver-
halten der Regierung entwirft. Aber nicht das wahre, das wahre ist anders:
Erlauben Sie, daß ich kurz anführe was wir in wenigen Monaten zusammen
selbst erlebt haben, und haben Sie den Muth mit mir selbst das sich zu
sagen und zu bekennen, was die Ereignisse zu uns sprechen. Das wahre
Bild der Staatsregierung ist dieses: „sie wahrt lediglich die Verfassung und
schützt dieselbe gegen Eingriffe“. Ich erinnere nochmals an die Jahre 1852
und 1854: das was die Mehrzahl der Anhänger des neuen Dogma von
dem Placet meinen, kann König Max unmöglich damals gemeint haben, nein,
er würde die Aufgebung des Placet als ein Opfer betrachtet haben. So
ergibt es sich hier, so anderwärts. Man war mit der Sachlage unzufrieden.
man hat mehr gewünscht, man wollte einen Feldzug für Erringung einer
besseren Stellung einleiten. Ich will jedoch nicht weiter darllber sprechen,
ebenso nicht von dem Versuch, ein Dogma in die Welt zu rufen, auch nicht
vom Syllabus vorläufig, sondern nur über das Concil vom 18. Juli 1870.
Unvermuthet kamen Nachrichten von seiner Bildung. Große Aufregung war in
der ganzen Kirche, den Anlaß zur Berufung des Concils hat man in Italien
besser als irgendwo gewußt, wenngleich in Deutschland die Nachricht von dem neu
aufzustellenden Dogma gerade die besten Katholiken beunruhigte. (Einiger
Widerspruch rechts.) Ja, m. HH., läugnen hilft nichts, wir haben ja alles
Erlebte damals noch vor Augen. Es ist wahr, wenn ich sage, daß über das,
was in Aussicht war, gerade die besten Katholiken in großer Sorge waren,
)yund man hat denen, welche dieses Dogma in Aussicht gestellt) gesagt: sie
glaubten es nicht, daß das Dogma von der Infallibilität des päpstlichen Lehr-
amtes wirklich berathen würde, und wenn auch, sie glaubten nicht, daß es