Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einjelnen Glieder. 
Regierungspresse Beschwerde geführt, und hat zu derselben Blätter gerechnet, 
die zwar Mitltheilungen, welche ihr seitens der Regierung gemacht werden, 
aufnehmen, die aber sonst vollkommen selbstständig sind. Für derartige 
Blätter, welche die Regierung zwar benubtzt, weil die rein officielle Presse noth- 
wendig stets die Langweiligkeit des „Staats-Anzeigers“ annehmen muß, können 
wir trotzdem eine Verantwortlichkeit in keiner Weise übernehmen. Uebrigens 
verweise ich Sie auf Ihr eigenes Organ, die hier erscheinende „Germania“, 
deren Leser ich zwar nicht selbst bin, von der ich jedoch gehört habe, daß sie 
sich mit der deutsch-feindlichen rheinbündlerischen Presse Bayerns für solidarisch 
erklärt. (Widerspruch im Centrum.) Sollte ich mich irren, so wäre es mir 
lieb. Ich bitte Sie, suchen wir aus dieser für das Vaterland großen Cala- 
mität theologischer Discussion hier einen ruhigen Ausweg zu gewinnen. Eine 
Einwirkung auf dogmatische Streitigkeiten liegt uns sehr fern. Allerdings 
können wir, wie in der Braunsberger Angelegenheit verlangt wird, eine Aus- 
Übung der Staatsgewalt der Geistlichkeit nicht einräumen. Gerade deßhalb 
müssen wir uns in dieser Beziehung den Platz frei halten, um uns hier so 
wenig als möglich um Religion kümmern zu müssen. (Beifall.) Man ver- 
lange nicht von einer paritätischen Regierung eine confessionelle Haltung; eine 
Staatsreligion als solche haben wir nicht. Wenn der Vorredner endlich be- 
hauptete, daß seine Anschauungen von der Mehrheit seiner Glaubensgenossen 
getheilt würden, so bestreite ich dieß und erwarte den Gegenbeweis. (Lebhafter 
Beifall.) Abg. Windthorst (Meppen): Der Ministerpräsident hat von 
einem Kampf gegen den Staat gesprochen, während nur von einem Wider- 
stande gegen einzelne Acte seiner Politik die Rede sein kann. Der Minister- 
präsident ist nicht der Staat und noch hat es kein Minister gewagt, seine 
Gegner auch Gegner des Staats zu nennen. Das Centrum ist keine confes- 
sionelle Fraction (Gelächter und Widerspruch); unser Programm ist veröffent- 
licht und jeder, gleichviel welcher Confession, kann ihm beitreten. Weder dir 
Anerkennung noch den Tadel des Ministerpräsidenten acceptire ich; jene habe 
ich nicht verdient und dieser ist unbegründet. Ich habe viele Fehler, aber 
gewiß nicht den der Leidenschaftlichkeit in parlamentarischer Debatte. Mein 
Puls schlägt auch in diesem Hause nur sechszig Schläge in der Minute, und 
ich weiß nicht, ob der Ministerpräsident dasselbe von sich sagen kann. Das 
Centrum ist nie aggressiv gegen die Regierung gewesen; mehr als einmal hat 
es sie im Reichstage bei entscheidenden Abstimmungen unterstützt. Ueberall 
konnte es ihr nicht folgen, denn es ist nicht jedermanns Sache, so schnell je 
nach der Ansicht der Regierung umzurutschen, als es manchen Leuten allerdings 
gegeben ist. Der Ministerpräsident hat uns dann mit der Presse identificirt. 
Was sollte aber dabei herauskommen, wenn jede Partei für ihre Presse auf- 
kommen sollte? Wenn die bezahlie Presse, die „Norddeutsche Allgemeine" u. s. w. 
einen so scheußlichen Ton anschlägt, mag die Antwort nicht fein ausfallen. 
In meinem und in den Häusern meiner Mündel habe ich Blätter dieser 
Gattung verboten wegen ihres verdorbenen Styls, und wenn der Minister- 
präsident sich über die Beziehungen der Regierung zu diesen Blättern aus- 
ließ, kann ich ihm nur antworten: wer reine Hände hat und behalten will, 
besorgt seine Seripturen und Pakete nicht durch den Düngerwagen. Die Pa- 
rität bis in die Decimalbrüche hinein zu wahren, verlangen wir ja gar nicht, 
aber es sollte doch jedem klar sein, daß sie jetzt überhaupt nicht existirt. Das 
Centrum ist gern bereit sich aufzulösen, wenn eine andere Fraction sein 
oder doch ein acceptables Programm annähme (Große Heiterkeit), aber bis 
dahin werden wir uns gegen die concentrischen Angriffe, welche auf uns ein- 
stürmen, vertheidigen und freilich mit Energie. 
  
30. Jan. (Bayern.) II. Kammer: lehnt die Anträge des Freiherrn 
v. Hafenbrädl auf Beschränkung der Freizügigkeit, der Verehelichungs- 
freiheit 2c. mit 57 gegen 56 Stimmen ab, indem wiederum 3 Mit-
	        
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