Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

AUebersicht der Ereignisse des Zahres 1872. 571 
vollem Recht, die Grundlage der gesammten Politik des Staates wider die 
Uebergriffe der römischen Kirche. Noch bevor es jedoch zur Verhandlung Stiurz 
kam, erwies es sich als überaus bedeutsam für Preußen: der bisherige Cultus-minser 
und Unterrichtsminister v. Mühler kam darüber endlich zu Falle. Derselbe Möhler. 
hatte das Ministerium seit dem Anfange der Conflictsperiode verwaltet und 
dabei, mehr ein Mann der Kirche als des Staates, das Unterrichtswesen 
völlig den Interessen und Wünschen der Kirche oder, richtiger ausgedrückt, 
der z. Z. in Preußen an der Spitze der evangelischen Kirche stehenden und 
dieselbe beherrschenden Richtung untergeordnet. Die protestantische Orthodoxie 
wurde von dem Minister mit allen Mitteln, welche ihm die bestehende Ge- 
setzgebung und die Verwaltung nur immer an die Hand gaben, um jeden 
Preis aufrecht erhalten und in jeder Weise gefördert. Das Volksschulwesen 
wurde dadurch seit Jahren in Preußen schwer beeinträchtigt und geschädigt. 
Jahr für Jahr war der Uebelstand für die innere Entwickelung Preußens 
im Abgeordnetenhause des Landtags bei Gelegenheit des Budgets zur Sprache 
gebracht worden, aber noch jedesmal war es dem Minister gelungen, sich 
auszureden und seine Stellung zu behaupten. Ein allgemeines Unterrichts- 
gesetz, wie es nachgerade dringend nothwendig geworden, war von ihm ent- 
weder überall nicht zu erwarten oder doch jedenfalls nicht eine Vorlage, wie 
sie das Bedürfniß der Zeit und mit der überwiegenden öffentlichen Meinung 
die Majorität des Abgeordnetenhauses gebieterisch verlangten. Jetzt bereitete 
sich ein allgemeiner Sturm gegen den Minister vor: sämmtliche liberale Frac- 
tionen des Abgeordnetenhauses verständigten sich über ein förmliches Miß- 
trauensvotum wider ihn und waren entschlossen, das Schulaufsichtsgesetz ihm 
nicht zu bewilligen. Dieser energischen Demonstration konnte er nun aller- 
dings nicht widerstehen und gab seine Entlassung, die auch angenommen 
wurde. An seine Stelle trat der geh. Justizrath Falk, nicht ein Liberaler 
im Sinne dieser oder jener Partei oder Fraction, aber auch nicht ein Con- 
servativer im Sinne der Feudalen: genug, er ergriff die Zügel mit ziemlich 
sicherer Hand und räumte in seinem Ressort mit den absolut nicht mehr 
haltbaren Ueberresten einer früheren Zeit und der einseitigen Richtung seiner 
Vorgänger rasch und durchgreifend auf. Der Schulaufsichtsvorlage standen. 
jetzt im Abgeordnetenhause keine allzu großen Schwierigkeiten mehr entgegen. 
Umsonst hatte der gesammte katholische Episcopat dagegen petitionirt, umsonst 
hatte derselbe namentlich aus den polnischen Landestheilen, hatten die prote- 
stantischen Ultras aus Hannover eine Masse von Petitionen dagegen beige- 
bracht, umsonst bekämpften die Ultramantanen im Abgeordnetenhause die Vor-
	        
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