Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Mebersichl der Ereignisse des Zahres 1872. 573 
Ende hin auch in den polnischen Landestheilen freie Bahn haben. Gerade 
da aber war es, wo die katholische Kirche der Thätigkeit des Staats hem- 
mend entgegentrat und die gesetzliche Stellung der deutschen Sprache in den 
polnischen Volksschulen durch tausend Mittel und Wege verkümmerte und 
geradezu illusorisch zu machen suchte. Die Connivenz der preußischen Regie- 
rung der katholischen Hierarchie gegenüber während langer Jahre hatte auch 
hier ihre schlimmen Früchte getragen: das deutsche Element war vielfach un- 
läugbar zurückgegangen und in großen, früher schon halb deutschen Land- 
strichen war es gelungen, das Deutsche wieder ganz auszumerzen. Aber 
endlich hatte die Geduld der preußischen Regierung doch ein Ende. Das 
Schulaufsichtsgesetz war denn auch zunächst nicht gegen die katholische Kirche 
im Allgemeincn und ihre Ansprüche gegenüber der Schule gerichtet, sondern 
in erster Linie darauf, den Widerstand des katholischen Clerus in den öst- 
lichen Provinzen und den polnischen Theilen derselben zu brechen, obwohl es 
der preußischen Regierung gegenüber den katholischen und protestantischen Ge- 
bieten auch in den mittleren und westlichen Provinzen wünschenswerth er- 
scheinen mochte, die Frage ein für allemal und für das ganze Königreich 
entschieden zu wissen, daß die oberste Aufsicht über die Volksschule nicht der 
Kirche, sondern dem Staate und zwar ausschließlich dem Staate gebühre. 
Da die preußische Regierung nicht gemeint war, den berechtigten Einfluß der 
Kirche überhaupt auf die Schule irgendwie verkümmern zu wollen, so ging 
das Schulaufsichtsgesetz in keiner Weise gegen die evangelische Kirche: das- 
selbe widerspricht dem Princip des Protestantismus nicht, wenn auch allerdings 
in einzelnen Landestheilen die hergebrachte Stellung der evangelischen Kirche 
zur Schule durch dasselbe thatsächlich alterirt wurde. Die gemäßigten Ele- 
mente der evangelischen Kirche Preußens beruhigten sich denn auch bezüglich 
des Gesetzes leicht. Nicht so dagegen die Ultras, namentlich in Hannover, 
wo sie, von dem früheren Regiment begünstigt, seit längerer Zeit theilweise 
geradezu katholisirende, dem Protestantismus ganz fremde Anschauungen ge- 
nährt hatten. Als aber das Gesetz am 3. März im preußischen Herren- 
hause zur Berathung kam, schlossen sich an die kirchlichen auch alle politischen 
Ultras an. Schulter an Schulter kämpften hier die Reactionäre aller Art, 
feudale Junker, protestantische Eiferer und ultramontane Katholiken, gegen 
das Gesetz. Die Minister Bismarck und Falk traten auch hier energisch für 
die Rechte des Staates ein. Der letztere betonte namentlich, daß die Re- 
gierung mit ihrer Vorlage durchaus auf dem Boden der Verfassung stehe 
und durch den bisherigen Gang der Angelegenheit fast wider ihre ursprüng-
	        
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