574 Nebersicht der Ereiguisse des Zahres 1872.
liche Absicht dahin gedrängt worden sei, eine principielle Entscheidung zu
fordern und auf dem Verlangen zu beharren, während der erstere die
Nothwendigkeit einer solchen principiellen Entscheidung aus der allgemeinen
europäischen Lage entwickelte und dabei ein grelles Streiflicht auf die Ten-
denzen und Bestrebungen der ultramontanen Partei fallen ließ. Das Resultat
der Abstimmung im Herrenhause übertraf die gehegten Erwartungen: mit 125
gegen 76 Stimmen wurde die Vorlage, wie sie aus dem Abgeordnetenhause
hervorgegangen war, zum Gesetz erhoben. Die Regierung ging sofort an die
Ausführung desselben und räumte nach und nach energisch mit den widerspänsti-
gen geistl. Schulinspektoren zunächst in Oberschlesien, dann aber auch in Posen
und Westpreußen auf. In den übrigen Provinzen, sowie gegenüber der evan-
gelischen Bevölkerung blieb thatsächlich vorerst Alles so ziemlich im Alten. Es
genügte, daß das Princip nunmehr gesetzlich ausgesprochen und festgestellt war.
Der Die vom 9.—11. April in Fulda versammelten preußischen Bischöfe
wirnhserbeschlossen, sich dem neuen Gesetze zu fügen und „auch zu Gunsten der im
pat. Princip von der Kirche losgerissenen Volksschule ihre Pflichten treu zu er-
füllen“, und es hat fast den Anschein, als ob die preußische Regierung sich
damals noch der Hoffnung hingegeben habe, wenn auch nicht mit der ultra-
montanen Partei und ihren Führern, die mehr und mehr in das Fahr-
wasser der ausgesprochensten Demagogie einlenkten, so sei es doch vielleicht
möglich, sich mit dem Episcopate und vor allem aus mit dem Papste selber
über einen modus vivendi zu verständigen, wofern es nur gelänge, alle be-
fangenen und übelwollenden Zwischenträgereien abzuschneiden. Fürst Bis-
marck hatte diesen Gedanken früher durch die Annahme eines pöäpstlichen
Nuntius in Berlin zu verwirklichen gedacht, darauf aber, weil die öffentliche
Meinung einem solchen Schritt entschieden widerstrebte, wie er erst wenige
Wochen vorher im Abgeordnetenhause erklärt, verzichtet. Jetzt glaubte er
eine andere, nach keiner Seite hin anstößige Form für denselben Zweck ge-
Die Er-funden zu haben. Die Stelle eines Gesandten bei der Curie zu Rom war
r Lanb durch die Versetzung des Grafen Arnim nach Paris schon seit längerer Zeit
dinals erledigt und Fürst Bismarck schlug nun dem Kaiser vor, den Posten nicht
10 e wieder mit einem weltlichen Träger, sondern mit einem hohen Kirchenfürsten,
Vosfsa, dem Cardinal Hohenlohe, zu besetzen. Der Cardinal, ein Bruder des gew.
*er wimbayerischen Ministerpräsidenten Fürsten Hohenlohe, hatte früher seinen stän-
Stuhle, digen Wohnsitz in Rom gehabt, am Concil sich betheiligt und seine Stimme
für die päpstliche Unfehlbarkeit abgegeben: man hätte wohl denken sollen, ein
Mann von dieser Stellung müsse das Vertrauen des Papstes und der römischen