Uebersicht der Ereignisse des Lahtes 1872. 575
Curie genießen und dlese würden sich nur freuen, die Vertittlung der Be-
ziehungen zwischen ihnen und der Regierung des deutschen Reichs in solche Hände
gelegt zu sehen. Auch der Kaiser meinte, in dem Cardinal das passendste Organ
für seine redlichen und loyalen Absichten gegenüber der katholischen Kirche,
sobald sie nur sich entschließen könnte, sich streng auf ihr eigenstes Gebiet,
das religiöse, zu beschränken und sich an den Wühlereien der politisch-ultra-
montanen Partei, die weit darüber hinausging, frei zu machen, gefunden
zu haben, ging auf den Vorschlag ein und ernannte den Cardinal in aller
Form zu seinem Botschafter beim hl. Stuhle. Nur der Form wegen wurde
der Sitte gemäß in Rom erst angefragt, ob die Wahl eine dem Papst an-
genehme sei. Allein der Kaiser und Bismarck irrten sich in ihren Voraus-
setzungen. In dem geschäftigen Spiel der Intriguen, das in Rom um den hl.
Vater unter den Cardinälen und höchsten Prälaten fort und fort waltet,
war der Cardinal, wie es scheint, augenblicklich nicht persona grata: es
wurde ihm verdacht, daß er nach der Einnahme der ewigen Stadt durch
die Italiener sich dem päpstlichen Hofe entzogen und seither fern davon
in Deutschland geblieben war; er gehörte ferner entschieden nicht zu der seit
dem Koncil allmächtigen Partei der Jesuiten und ihrer Freunde und hatte
sich endlich auch unter dem Purpur eine gut deutsch-nationale Gesinnung be-
wahrt. Der Papst zögerte erst mit seiner Antwort und gab sie endlich,
erst auf wiederholte Anfrage (lam 2. Mai) dahin ab, daß er den Cardinal
in jener Eigenschaft nicht anzunehmen vermöge. Die jesuitischen Einflüsse,
in deren Princip es liegt, Alles auf die Spitze zu treiben, wo es heißt:
biegen dder brechen, hatten beim Papste auch jetzt wieder die Oberhand ge-
wonnen und die Antwort war um so verletzender, als sie den Organen der
ultramontanen Partei in Deutschland sogar früher als der kais. Regierung selber
mitgetheilt worden war. Jetzt war es freilich klar, daß Rom seinerseits jede
Brücke der Verständigung hinter sich abzubrechen entschlossen sei und daß die
steigenden Umtriebe der ultramontanen Partei im Einverständnisse mit Rom ge-
schähen und von Rom unterstützt würden. Die Motive dafüt lagen nahe genug.
„Früher — sagte Fürst Bismarck um diese Zeit im Herrenhause — haben
„wir in einem von ganz Europa beneideten ronfessionellen Frieden gelebt,
„und zwar auch mit der Confession, mit welcher es für eine evangelische
„Dynastie am schwierigsten ist, mit der römisch-katholischen. Dieser Friede
„füng an, minder sicher für uns zu werden von dem Augenblick, wo Preußen
„und mit ihm die evangelische Dynastie eine stärkere Entwickelung nahm.
„So lange zwei katholische Großmächte in Europa waren, von denen jede