Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 61
durch ein Gesetz entstehen können in der Discussion zu Übertreiben, aber das
darf doch nicht zu weit gehen; besonders bei einer Frage, von welcher so das
allgemeine Interesse in Anspruch genommen wird, wie die Zahl der Petitionen
bewcist, sie mögen zu Stande gekommen sein, wie sie wollen, und es kann das
nicht geschehen, wenn nicht die Frage in einen so eigent hümlichen Zustand der
politischen Athmosphäre unseres politischen Staatslebens gefallen wäre, in den
einer bereits vorhandenen confessionellen Spannung. Es ist dieß ein Zu-
stand, den ich als einen für den Staat unerwünschten schon bei früheren
Gelegenheiten gezeigt habe, und auf den namentlich ven den Herren vor mir
vielfach zurückgekommen ist, ankullpfend und anspielend auf Acußerungen, die
ich damals gethan habe. Ich habe damals schon das Verlangen der Staats-
regierung accentuirt, in confessionellen Sachen zum vollen Frieden zu kommen,
und die Entschlossenheit der Regicrung bezeichnet, einer so zahlreichen Kate-
gdrie, wie es die Preußen katholischer Confession sind, die volle Befrie-
digung zu gewähren. Ich habe das aufrichtige Bestreben der Regierung ge-
kennzeichnet zu dieser Befriedigung auf Wegen zu gelangen, die weder die
Sicherheit des Staates noch die volle Freiheit der Confession gefährden.
Ich halte auch die heutige Gelegenheit für geeignet, daß wir uns weiter mit
der Diagnose dieses Krankheitszustandes beschäftigen mögen. Ich bin viel
geneigter mit den Herren zu verhandeln von dieser Stelle her, was ich sonst
in diplomatischen Verhandlungen nicht gern thue, als in dem Schatten der
Bureaux und auf die Verantwortung einzelner Personen hin, auf die ich mich
nicht immer verlassen kann. Lassen Sie uns, m. HH., nur einen Augenblick
auf das Thema zurückkommen! Wie kommt es eigentlich, daß wir uns seit
einem Jahr in dem unbehaglichen, kampfartigen Zustande befinden, während
die meisten von Ihnen noch bis kurz vorher das Befriedigende der katholischen
Zustände in Preußen nicht genug rühmen konnten, und ich glaube, daß sie
noch heute mit Dank gegen die preußische Regierung dasselbe als richtig an-
erkennen können, daß nämlich jeder Confession die Freiheit der Bewegung ge-
sichert ist. Wie ist es denn nun gekommen? Ich habe neulich mein Bedauern
darüber ausgesprochen, daß sich auf rein politischem Gebiet eine confessionelle
Fraction gebildet hat. Indessen, ich würde es immerhin noch als einen Fort-
schritt betrachten, wenn diese Fraction wirklich eine rein confessionelle geblieben,
wenn sie nicht versetzt wäre mit andern Bestrebungen, sich nicht belastet hätte
mit der Proceßführung für Elemente, die den friedlichen Aufgaben der katho-
lischen Kirche völlig fremd sind. Die Aufgabe der katholischen wie jeder
andern christlichen Kirche ist, die Bestrebungen des Friedens und den gesicherten
Rechtszustand ihres Landes aufrecht zu erhalten. Ich sehe eine zustimmende
Kopfbewegung des Hrn. Dr. Windthorst. (Heiterkeit.) Aber deßhalb wär'
es meines Erachtens Ihre Aufgabe gewesen, sich von dem Einfluß von Fac-
toren frei zu halten, deren Element der Kampf ist, deren Zukunft im Kampf
und in der Unsicherheit der jetzigen Zustände liegt. (Unruhe und Ausrufe im
Centrum.) M. H#., darf ich Sie bitten, meine Ausführungen ruhig anzu-
hören, Sie haben ja vollkommen Gelegenheit und Zeit mir zu antworten.
Wenn Sie jetzt sprechen, so kann ich Sie versichern: es stört mich, weil Sie
so nahe vor mir sitzen, und Sie haben doch auch ein Interesse mich deutlich
bis zu Ende zu hören! Dieser Elemente des Streites, m. HH., mit denen
Sie die Mission des Friedens sich erschwert haben, sind mehrere. Einmal
und erstens ist es meines Erachtens die Wahl Ihres die Geschäfte führenden
Mitgliedes, das gewöhnlich im Namen der Fraction spricht, und ihr auch,
glaube ich, den Namen gegeben hat. Es bestand vor Bildung der Centrums-
partei eine Fraction, die man früher auch als die Fraction „Meppen“ be-
zeichnete. Sie bestand, so viel ich mich erimmere, nur aus einem Abgeordneten,
einem großen General ohne Armee. Indessen wie Wallenstein ist es ihm ge-
lungen, eine Armee aus der Erde zu stampfen. Sind die Interessen des
Führers und der Armee dieselben! Das ist die Frage; oder kämpft die