Das deufsche Reich und seine einzelnen Slieder. 67
gierung, die so durchgreifend und energisch anders aufträte, ist nicht hinreichend.
Eine Regierung, die sich rücksichtslos in der modernen Zeit Jemandem in die
Arme wirft, kann zum Verderben führen. Ich bitte Sie, geben Sie diesen
Widerstand auf, und lassen Sie diese Regierung nicht leiden unter dem Miß-
trauen gegen eine künftige! Beschäftigen Sie sich mit Realitäten und nicht
mit Gespenstern, und schenken Sie uns das Vertrauen, welches wir bisher mit
Necht verdient zu haben glauben. (Lebhafter Beifall.) v. Wierzbynski
(polnische Fraction) spricht sich gegen die Vorlage aus zwei Gründen aus:
einmal, weil sie eine wirkliche Gefahr heraufbeschwört, indem sie eine einge-
bildete Gefahr beseitigen, weil sie die Macht der Kirche vernichten und durch
die Macht der Bureaukratie ersetzen, weil sie das Bevormundungsrecht des
Staats erweitern, und ein Princip aufstellen will, das nicht weniger als
liberal sei. Die polnische Bevölkerung habe das Recht polnisch zu sprechen,
und dieses Necht würde durch die Einführung von Schulinspectoren geschmälert
werden, die „uns“ und die „wir“ nicht verstehen. Die polnische Bevölkerung
habe zu einem freundlicheren Enigegenkommen einer Regierung gegenüber,
welche fie stets stiefmütterlich behandelt, keinen Anlaß. Fürst Bismarck: Ich
habe mich nicht beklagt Über die unfreundliche Haltung der polnischen Bevöl-
kerung, denn über sie zu klagen, habe ich keinen Grund, sie ist dankbar einer
wohlwollenden sorgsamen Regierung, die sie gegenwärtig hat. Ich beklagte
mich nur über die unfreundliche Haltung des polnischen Adels. Windt-
horst: Er wünsche von Herzen Frieden, und wenn der Minister den ersten
Schritt zur Versöhnung thun will, indem er die Vorlage zurückzieht, so wolle
er, Redner, sofort aus der Centrumspartei austreten. Er beklagt, daß man
ihn so oft verdächtigt. Bismarck: Ich bin zu jedem großen, nur nicht
dem verlangten Opfer bereit, wenn er die Verbindung mit der Centrumspartei
wirklich, nicht bloß sormell lösen will. .
v. Mallinckrodt: setzt des Cultusministers Aeußerung über die
Petitionen statistische Angaben über die Zahl der eingegangenen Unterschriften,
nach Provinzen geordnet, entgegen; die Zahl ist 1943 Petitionen mit 326,648
Unterschriften, ungerechnet die Zahl der Personen, welche hinter den Petionen
stehen. Der Ministerpräsident habe das geeignetste Mittel den confessionellen
Frieden herzustellen darin gefunden, eine Diagnose der Centrumspartei zu
geben. (Fürst Bismarck tritt ein.) Der Minister habe gestern unter den
fremden Elementen, mit denen die confessionelle Centrumspartei belastet sei,
das geschäftsführende Mitglied Windthorst genannt. Die Partei habe kein
solches geschäftsführendes Mitglied, nur einen Vorstand; sie sei frei in
ihrer Abstimmung, aber alle hätten bestimmte maßgebende Principien.
Wir wünschen aufrichtig den Frieden; aber wenn man uns den Frieden bietet
unter der Bedingung, daß wir einen unserer Kampfgenossen, auch den schwäch-
sten, aufgeben sollen, so halten wir dieß für eine Beleidigung, und weisen den
Vorschlag entschieden zurück. Wir sind stolz darauf, ein so hervorragendes
Mitglied wie Windthorst zu besitzen. Sie haben eine Perle annectirt, und
wir haben die Perle in die richtige Fassung gebracht. (Schallendes Gelächter.)
Es gibt wenige Namen, die in weiten Kreisen so populär sind, auch in den
altpreußischen Provinzen, wie der Name Windthorst. Christgläubige Pro-
testanten weisen wir nicht zurück; es besteht aber eine Aengstlichkeit sich uns
anzuschließen. Die welfischen Protestanten, die sich uns angeschlossen, sind
uns liebe Genossen, denn wir haben uns überzeugt, daß sie Männer von echt
deutscher Gesinnung sind. (Unruhe.) Die polnische Partei ist auf eigene
Füße gestellt, und steht da recht fest. Von einer Verschmelzung mit uns
weiß ich nichts; richtig ist nur, daß wir gewisse Interessen gemeinsam haben,
1. B. Interessen kirchlicher Freiheit, der Parität bei Kränkung von wohlbe-
rechtigten Ansprüchen. Der Ministerpräsident hat noch nicht alle Punkte gegen
uns geltend gemacht, z. B. die Hinweise auf die bayerischen Patrioten, auf
die Internationale. Man wisse gar nicht, wo die Regierung hinauswolle.
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