Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
Redner zeigt, wie die Stellung der verschiedenen Parteien zu einander sich seit 
1867 so ganz verändert habe; heute begegne sich selbst Virchow mit den An- 
schauungen der Regierung in sehr bedenklicher Weise. Die ganze deutlich er- 
kennbare Bewegung von rechts nach links mahne zur Vorsicht, denn man wisse 
nicht, wohin sie führe. Fürst Bismarck habe in politischer Beziehung nicht bloß 
Napoleon zum Muster genommen, sondern auch einen berühmten ital. Staats- 
mann! Das Amendement Bonin schütze das Recht der Gemeinde, aber gebe das 
Recht der Kirche preis, das doch auch des Schutzes bedürfe. Fürst Bismarck: 
Gerade als ich eintrat, tadelte der Hr. Vorredner den Ausdruck, den ich in 
Bezug auf den Hrn. Abgeordneten für Meppen gebraucht hatte, nämlich, daß 
er das geschäftsführende Mitglied einer Partei sei, und suchte die Behauptung 
zu widerlegen, daß er es sei. Nun, dieser Ausdruck ist nicht von meiner 
Erfindung, er stammt, wie Sie wissen, von dem Hrn. Abgeordneten für 
Meppen her, der auch mich den für die Mehrheit geschäftsführenden Minister 
nannte, wie ich ihn das für die Mehrheit seiner Partei geschäfteführende Mit- 
glied nannte. Die Verhältnisse liegen ganz analon, und wenn der Hr. Ab- 
geordnete nicht das geschäftsführende Mitglied seiner Partei ist, so kann ich 
auch bestreiten, daß ich der geschäftsführende Minister bin. Der Vorstand 
seiner Fraction hat acht Mitglieder, das Ministerium hat ebenfalls acht Mit- 
glieder. (Heiterkeit.) Die Minister sind auch alle gleichberechtigt; ich habe 
meinen Collegen nichts zu befehlen, und wenn sie meiner Meinung in irgend- 
einer Sache folgen, so geschieht es eben, weil sie sie für die bessere halten, 
ebenso, wie ich öfters die Meinung eines meiner Collegen für die bessere an- 
erkenne. Ich habe damit nur bezeichnen wollen — und der Hr. Vorredner 
bestätigt meine persönliche Auffassung — daß der Abgeordnete für Meppen in 
seiner Fraction an Begabung und an politischem Blick bedeutend hervorragt, 
daß er jederzeit sicher weiß, wohin die Führung gerichtet ist, und welches Ziel 
erstrebt wird, was vielleicht andern seiner Partei nicht so klar geworden ist. 
Ich habe eben versucht, durch meine gestrige Aeußerung das meinige zur Auf- 
klärung der Situation beizutragen, und freue mich, daß das einigermaßen 
gelungen ist. Die Schlußerklärung des Hrn. Abgeordneten für Meppen von 
gestern hat mir dazu geholfen, und die Rede des Hrn. Vorredners auch. Er 
nannte den Hrn. Abgeordneten eine Perle; ich theile diese Auffassung in 
seinem Sinne vollkommen; für mich hängt aber der Werth einer Perle von 
ihrer Farbe ab; ich bin darin etwas wählerisch. (Große Heiterkeit.) Der 
Hr. Abgeordnete hat mir ferner in den Mund gelegt: ich hätte als Bedingung 
für den Frieden mit seiner Partei das Ausscheiden eines Mitgliedes gestellt; 
nun, ich habe, glaube ich, Bedingungen gar nicht gestellt, sondern nur versucht, 
uns gegenseitig den Dienst zu erweisen, die Situation klar zu legen; Sie 
werden den für den Staat und für Sie erforderlichen Frieden zwischen der 
geistlichen Gesetzgebung und der weltlichen des Staates viel leichter herbei- 
führen, wenn Sie sich von allen heterogenen Elementen freihalten, deren 
Träger Sie jetzt vielleicht unwillkürlich geworden sind. Sie sind eben in die 
eigenthümliche Lage gerathen, daß sich Ihnen eine Anzahl staatsfeindlicher 
Elemente — Elemente, die den Staat zum Theil offen negiren — angeschlossen 
hat, vielleicht in der Voraussetzung, die ja unberechtigt ist, daß so der Staat 
am meisten gefährdet werden könne. Nun, darin find wir eben verschiedener 
Meinung. Ich habe nicht behauptet, daß die Centrumspartei und die polnische 
Fraction offenkundig zusammenwirken; ich habe sogar angedeutet, daß sie nicht 
unabsichtlich aus Rücksicht auf die zum größten Theil deutsche Bevölkerung 
jener Landestheile den offenkundigen Ausdruck jener Beziehungen vermeide. 
Ich habe nur betont, daß die katholische Geistlichkeit, und nicht nur polnischen 
Ursprungs, sich mit den national-politischen Bestrebungen des polnischen Adels 
verbinde und die Entwicklung des Unterrichts der deutschen Sprache hemme; 
darin haben die polnischen Agitationen Unterstützung durch die Geistlichkeit 
gefunden. Es ist dieß um so befremdlicher und unerwünschter für die Regierung,
	        
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