Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder. 69
weil wir uns der merkwürdigen Beobachtung nicht verschließen können, daß
die Geistlichkeit in allen Ländern eine nationale ist, und nur die in Deutsch-
land eine Ausnahme davon macht. Die polnische Geisllichkeit schließt sich den
polnischen Bestrebungen an, die italienische der nationalen Bewegung in Italien.
Ja, selbst in der unmittelbaren Umgebung von Rom sehen wir nicht, daß
der italienischen Regierung von Seiten der italienischen Geistlichkeit Schwierig-
keiten bereitet werden, im Gegentheil, man hat von Anfang an gesehen, daß
in gewissen Fragen ein Theil der Geistlichkeit bis hoch hinauf den nationalen
Bestrebungen des Landes günstig war. Wir haben ferner gesehen, daß in
Frankreich der Franzose stets höher steht in der Schätung der Geistlichkeit,
als der Geistliche. Ein eklatantes Beispiel dafür bildete während der Friedens-
verhandlungen, daß, als Se. Heil. der Papst den Bischöfen ausdrücklich durch
ein beauftragtes Organ die Weisung zugehen ließ, für den Frieden thätig
zu sein, er, so monarchisch auch die Kirche organisirt ist, damit kein Gehör
fand. Bei den französischen Geistlichen ging eben die französische Politik
weiter. Aehnlich ist es in Spanien. Nur ganz allein in Deutschland tritt
uns die eigenthümliche Erscheinung entgegen, daß die katholische Geistlichkeit
einen entschieden internationalen Charakter trägt. Die katholische Kirche in
Deutschland hat auch in der neueren Entwicklung deutlich gezeigt, daß sie
darin nicht auf der Basis des Clerus anderer Nationen steht, sondern daß ihr
öfters die Kirche näher am Herzen liegt, als die Entwicklung des Deutschen
Neichs, ohne daß ich damit sagen will, daß diese Entwicklung ihr völlig fern
liegt. (Rufe im Centrum: Beweisel) Sie halten das für Beleidigungen,
meine Herren? (Dr. Windthorst: Nein, Beweise!) Beweise! Ach, ich bitte
Sic, m. H., greifen Sie doch in ihren eigenen Busen. (Stürmische Heiter-
leit.) Der Hr. Vorredner hat mich ferner erinnert an Reden, die ich vor
23 Jahren, im Jahr 1849, gehalten habe. Ich könnte diese Bezugnahme
einfach mit der Bemerkung abfertigen, daß man in 23 Jahren, namentlich
wenn es die besten Mannesjahre sind, etwas zuzulernen pflegt, und daß ich
wenigstens nicht unfehlbar bin. (Heiterkeit.) Aber ich will noch weiter gehen
und sagen: was in meinen damaligen Aeußerung war an lebendigem Be-
kenntniß, an Bekenntniß zum lebendigen christlichen Glauben, das spreche ich
auch heute noch ganz offen aus, und scheue dieses Bekenntniß weder öffentlich
noch in meinem Haus an irgendeinem Tage. (Bravol! rechts.) Aber dieser
mein lebendiger, evangelischer, christlicher Glaube legt mir die Verpflichtung
auf, für das Land wo ich geboren bin, zu dessen Diensten Gott mich geschaffen
hatt, und in dem mir ein hohes Amt übertragen ist, nach allen Seiten hin
das Necht zu wahren. Und wenn dieser Staat von Republikanern und auf
den Barrikaden angegriffen war, habe ich es für meine Pflicht gehalten, auf
der Bresche zu stehen. Sie werden mich, wenn dieser Staat von einer Seite
angegriffen wird, von der wir gehofft haben und noch wünschen, daß sie dazu
zurückkehren wird, die Fundamente des Staats zu befestigen, anstatt sie zu
zerstören, auch jetzt auf der Bresche finden. Das gebietet mir das Christenthum
und mein Glaube. (Lebhafter Beifall.) Die Generaldiscussion wird hiemit
geschlossen.
8.—9. Febr. (Bayern.) II. Kammer: Debatte über den Barth-Schüt-
tinger'schen Initiativantrag betr. Wahrung der bayerischen Reservat-
rechte gegen das deutsche Reich. Der Bericht und Antrag der patrio-
tischen Majorität des Ausschusses, die Rede des Referenten Sedlmayr
und ein Vermittlungsantrag des patriotischen Abg. Huttler, mit dem
sich die ursprünglichen Antragsteller einverstanden erklären, lassen nach-
gerade kaum mehr erkennen, nicht zwar was die patriotische Partei
eigentlich will, worüber kein Zweifel ist, wohl aber, wie sie ihre Ab-