88 Das deulsche Reich und seine einzelnen Slieder.
jeder Konfession, sich in ihrer legitimen Vertheidigung der unveräußerlichen
Rechte jeder Staatsgewalt durch die Angriffe nicht beirren lassen wird, denen
sie von Seiten der Gegner deutscher Entwicklung ausgesetzt ist.“
4. März. (Hessen.) II. Kammer: Debatte über das Budget für Cultus
und Unterricht:
Die Regierung wird dabei von der Kammer gegen eine Minderheit von
16 Stimmen ersucht: zur Handhabung der Verordnung v. 80. Jan. 1830
das zur Wiederherstellung der kath.-theol. Facultät an der Landes-
universität Erforderliche unter Vorlegung der zu diesem Behafe nöthigen
Proposition vorzukehren und alsdann auch die Nothwendigkeit des vorgeschrie-
benen dreijährigen Universitätsstudiums und der akademischen Prüfung der
kathol. Theologiestudirenden wieder einzuführen. Dagegen wird der Antrag,
die beiden Schullehrerseminarien zu Einer Anstalt zu vereinigen, in
welcher nur der Religionsunterricht getrennt zu ertheilen sei, mit 24 gegen
21 Stimmen abgelehnt. Ter Ausschußantrag auf Wahrung der landes-
herrlichen Patronatsrechte und Androhung der Nichtverwilligung auf die
Dauer der ordnungswidrigen Verwaltung (gegen Bischof Ketteler) wird unter
Acception der regierungsseitig erfolgten Zusicherung einer baldthunlichen Ge-
setzesvorlage Über die Verhältnisse der Kirche zum Staate ausgesetzt. Dern-
burg verlangt Auskunft über das Verhalten der Regierung gegenüber der
Thatsache, daß die katholische Geistlichkeit des Landes gegen das Reichsgesetz
über den Mißbrauch der Kanzel förmlichen Protest eingelegt, worauf der
Regierungskommissär erklärt, daß jener Protest vor dem Erlaß des Gesetzes
staltgefunden. Dernburg weist nun gerade das Gegentheil nach und zeigte
daß sogar ein Angestellter — Oberstudienrath — noch im Januar d. J.
gegen das bereits im Dezember v. J. publizirte Gesetz förmlich protestirte,
Dernburg erneuert deßhalb seine Anfrage. Minister v. Bechtold erwiedert,
daß die Regierung bestrebt sei, den Reichsgesetzen die gebührende Achtung zu
verschaffen, daß sie die Proteste der Geistlichkeit zwar beklage, indeß kein
Mittel habe, hier einzuschreiten.
5. März. (Deutsches Reich.) Bundesrath: genehmigt den Antrag des
Reichskanzlers auf Abberufung der bisherigen Landesconsule an den-
jenigen Orten, wo nunmehr Bundesconsuln fungiren.
6.—8. März. (Preußen.) Herrenhaus: Debatte über das Schulauf-
sichtsgesetz.
Der Antrag der Commission meodificirt die Vorlage principiell, indem
er sowohl die Kreis= als die Localschulinspection durchaus der Geistlichkeit
überlassen und der Regierung nur die Concession machen will, daß „der Auftrag,
soferne die geistlichen Inspcctoren die ihnen obliegenden Pflichten nicht erfüllen,
durch Beschluß der vorgesetzten Behörde zurückgezogen und an andere Geistliche
derselben Kirchengemeinschaft, soferne es nöthig ist auch an Nichtgeistliche,
übertragen werden könne.“ v. Kleist-Rezow vertheidigt den Antrag als
Referent und wird mit Eifer von den Führern der feudalen Partei, v. Senfft-
Pilsach, v. Kröcher, v. Waldow-Steinhövel unterstützt. Graf Münster:
Die Vorlegung des Gesetzes habe ich Anfangs bedauert, die Aufregung ge-
fürchtet. Jetzt aber, nachdem die Debatten im Abgeordnetenhause stattgefunden
und die Regierung sich ausgesprochen hat, sehe ich, daß eine Gefahr zu be-
kämpfen ist. Die Männer in der Regierung haben weder democratische, noch
liberalisirende Gelüste, davon bin ich Überzeugt und ich will ihr zur Seite stehen,
wenn ich auch im Reichstage gegen den neuen Strafparagraphen gestimmt
habe. Die Gefahr liegt darin, daß eine antingtionale Partei besteht, der das
protestantische Kaiserthum ein Dorn im Auge, ein Stachel im Herzen ist. Ver-
werfen Sie die Vorlage, so werden Sie Freude bereiten jener Partei in Nom
und das Hohngelächter dieser Partei wird wiederhallen diesseits der Alpen.