Das deutsche Reich und seine einzelnen Glleder. 89
Minister Falk: Das Gesetz ist im Abgeordnetenhause nach den erregtesten
Debatten angenommen worden, deren Nachwirkung weit über die Gränzen des
engern Vaterlandes hinaus empfunden wird. Auch der Charakter dieses
Hauses zeigt diese Erregung, die erklärlich und natürlich ist, da der Kampf
der Parteien sich zu einem Principienkampf entwickelt hat. Der § 1 des
Gesetzes enthält den Grundsatz, daß dem Staate das Aufsichtsrecht über die
Schule zustehe und zwar ausdrücklich und in bestimmter Form. Wäre dieses
Princip nicht der Ausgangspunct des ganzen Streites geworden, die Regierung
hätte sich sicherlich zu einer Milderung der Fassung bereit erklärt, aber in
dem erregten principiellen Kampfe mußte auch sie direct vorgehen. Es ist der
Vorschlag gemacht worden, an den einzelnen Stellen, wo die Uebelstände zu
Tage getreten, Abhülfe zu gewähren. Allein ein solches Verfahren, den theil-
weisen Schulbelagerungszustand einzelner Provinzen auszusprechen, ist nicht
thunlich; um mit Wirkung Hülfe und Besserung zu bringen, muß allgemein
vorgegangen werden. Die Staatsregieruug thut es um so lieber, als sie
Üüberzeugt ist, auf dem Boden der Verfassung zu stehen. Heute und in dieser
Vorlage handelt es sich nicht mehr um den Kampf zwischen Kirche und Schule.
Als die Verfassungsparagraphen 21—24 angenommen wurden, da ward dieser
Kampf abgeschlossen. Wir wollen ihn nicht erneuern. Die religiöse Seite ist
in keinem Puncte berührt. Es ist der Vorwurf gegen das Gesetz erhoben
worden, als leite er den Uebergang zur confessionslosen Schule ein, ja enthalte
im Grunde bereits dieselbe. Der Vorwurf ist erhoben worden, doch der Beweis
steht noch dahin. Nach der Absicht der Regierung ist Zweck und Inhalt der
Vorlage lediglich die Abgränzung der Rechte des Staats und der Kirche auf
die Schule auf Grundlage des bereits bestehenden Rechts. Graf Buinski:
Durch die Vorlage werde der religiöse Einfluß der Geistlichkeit vollständig
gelähmt; denn ein Geistlicher, der von. seinem Amt als Schulinspector ab-
gesetzt werde, verliere alle Autorität. Der Entwurf trage den Character
eines Ausnahmegesetzes gegen die Polen. Fürst Bismarck: Wir sind auf
unserm Standpunkte verantwortlich für die Gesammtleitung des Unterrichts
und für die Sicherheit des Staats in diesem Augenblick und in der Zukunft.
Ich kann dem Referenten nicht folgen, ich kann unsere Stellung nicht herab-
ziehen lassen in dieses Niveau einer einzelständigen Anschauung, wo das In-
teresse für das Schulpatronat, von dem es zweifelhaft ist, ob es überhaupt
auf gesetzlichen Grundlagen beruht, als Hauptbeweggrund gilt. Ich verschmähe
es auf diese Anschauungen überhaupt nur einzugehen. Was uns geleitet hat
dieses Gesetz aus dem Unterrichtsgesetz herüberzunehmen, und gerade jetzt nicht
mehr die Geduld zu haben, die wir früher hatten, das war die Erwägung,
daß wir früher in einem von ganz Europa beneideten confessionellen Frieden
gelebt haben, und zwar auch mit der Confession, mit welcher es für eine evan-
gelische Dynastie am schwierigsten ist, mit der römisch-katholischen. Dieser
Friede fing an minder sicher für uns zu werden von dem Augepblick, wo
Preußen und mit ihm die evangelische Dynastie eine stärkere Entwicklung
nahm. Solange zwei katholische Großmächte in Europa waren, von denen
jede eine stärkere Grundlage für das katholische Bedürfniß bot als Preußen,
haben wir den Frieden gehabt. Dieser Friede wurde schon bedenklich ange-
seindet nach dem österreichischen Krieg, als damals die Macht, die in Deutsch-
land so lange das katholische Princip aufrecht erhalten hatte, 1866 im Krieg
unterlag und die Zukunft Deutschlands in die Hand einer evangelischen Dynastie
gelegt wurde. Aber man verlor die Ruhe auf der andern Seite vollständig,
als die zweite katholische Hauptmacht in Europa denselben Weg ging, und
uns eine Macht zufiel, die mit Gottes Hülfe in unserer Hand bleiben wird.
So ist wenigstens die Thatsache bestätigt, daß gleichzeitig mit Preußens Wachs-
tbum sich eine Verminderung des confessionellen Friedens herausgestellt hat.
Imwieweit das mit den Absichten einer Partei zusammenhängt Waffen für
ihre Zwecke in die Hände zu bekommen, und inwieweit diese Auffassung vom