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Das deutsche Reich und seine einjelnen Glieder.
9. März. (Preußen.) Herrenhaus: beräth den Gesetzesentwurf betr. die
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Oberrechnungskammer
und streicht dabei den vom Abgeordnetenhause beschloßsenen Zusatz, welcher eine
Erweiterung des Kreises der von der Oberrechnungskammer aufzustellenden
Bemerkungen bezweckte, obwohl der Finanzminister erklärt, in diesem Falle seie
zu besorgen, daß das Abgeordnetenhaus auf das ganze Gesetz verzichten werde.
Im Uebrigen wird das Gesetz ohne Aenderung nach den Beschlüssen des Ab-
geordnetenhauses genehmigt.
„ (Baden.) II. Kammer: Eckhard interpellirt die Regierung bez.
ihrer Stellung zur Altkatholikenfrage,
insbesondere 1) ob sie etwaige altkatholische Priester im Genuß ihrer Pfründen
und in ihren Amtsverrichtungen zu schützen gedenke, 2) ob sie etwaigen alt-
katholischen Gemeinden Rechtsschutz gewähren wolle z. B. durch Ueberlassung
von Kirchen, 3) ob sie am obligatorischen Religionsunterricht auch dann fest-
halte, wenn die Eltern solchen von infallibilistischen Geistlichen für ihre Kinder
verschmähten. Staatsminister Dr. Jolly erwidert: Die Regierung habe durch
Erlaß vom September 1870 erklärt, daß sie den Beschlüssen des vatikanischen
Konzils keinerlei staatsrechtliche Geltung zuerkenne; diese seien für die Staats-
regierung nicht existirend. In Folge Dessen antwortete er ad 1) und 2) ein-
sach mit „Ja“, ad 3) mit „Nein“. Mit großer Mehrheit genehmigt
die Kammer den von den Abgg. Schmidt u. Gen. gestellten Antrag, die
Regierung wolle eine genaue Untersuchung aller im Lande bestehenden älteren
Lehr= und Erziehungsinstitute klösterlicher Art, sowie der in den verschiedensten
Formen neu entstandenen klösterlichen Anstalten und Einrichtungen veranlassen
und das Ergebniß dem nächsten Landtage vorlegen.
„ (Bayern.) Große Versammlung der pfälzischen Altkatholiken in
Kaiserslautern, an der gegen 3000 Personen Theil nahmen.
(Baden.) II. Kammer: nimmt die von mehreren Abgeordneten
eingebrachten Gesetzvorschläge betr. die Untersagung öffentlicher Lehr-
wirksamkeit der Mitglieder religiöser Orden oder ordensähnlicher Con-
gregationen, die einem außerhalb Deutschland wohnenden Obern unter-
stehen, und der Abhaltung von Missionen durch Mitglieder religiöser
Orden an, nachdem die Regierung ihre Zustimmung dazu erklärt hatte.
An demselben Tage finden gleichzeitig nicht weniger als 8 Volksversamm-
lungen (in Säckingen, Staufen, Offenburg, Haslach, Dos, Malsch, Hardheim,
Tauberkönigshofen), welche von den clericalen Landtagsabgeordneten geleitet
werden, statt. Dieselben sind überall nicht sehr zahlreich, genehmigen indessen
sämmtlich die ihnen vorgelegten Resolutionen. Die erste spricht den Gegnern
des Unfehlbarkeitsdogma's als Aufwieglern gegen die von „sämmtlichen Bischöfen
des Erdkreises“ anerkannten Beschlüsse des „rechtmäßigen vatikanischen Konzils“
die Eigenschaft als Katholiken ab und bezeichnet die Zulassung „abtrünniger"
Priester zu Gotteshäusern und Pfründen als eine Verfassungsverletzung Sei-
tens der Staatsgewalt. Die zweite Resolution verwirft die genaue Unter-
suchung klosterartiger Anstalten als eine feindliche Denunziation an die Polizei,
als Verkümmerung der Gewissens= und Vereinsfreiheit. Die dritte erklärt
den Ausschluß der Mitglieder religiöser Orden und Bruderschaften vom öffent-
lichen Lehramt für einen Widerspruch gegen das allen Badenern gleichmäßig
zukommende Recht. Die vierte nennt das Verbot der Missionen und der
„Aushilfe von Ordensgeistlichen in der Seelsorge einen Eingriff in die Rechte
der Bischöfe, eine Verletzung des“ deutschen Staatsbürgerrechts, eine schwere
Kränkung aller Katholiken, die nie und nimmer die Behauptung zugeben
könnten, daß die Lehren ihrer Kirche die Nechte des Staates in Frage stellten
oder den religiösen Frieden störten u. s. w.