Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 22.) 63 
welcher einen Communalbeamten seines Amtes entsetzte, weil derselbe 
Mitglied des Mainzer Katholikenvereins ist und weder aus demsel- 
ben austreten, noch sein Amt niederlegen wollte. 
In den Gründen dieser Entscheidung wird gesagt: „Schon die That- 
sache, daß der Mainzer Katholikenverein ein regierungsfeindlicher ist, welcher 
die Opposition gegen die Maßnahmen der Staatsregierung auf kirchenpoli- 
tischem Gebiete zum Gegenstande seiner Agitationen und Bestrebungen macht, 
charakterisirt den Verein als einen solchen, dessen Mitgliedschaft mit der Stel- 
lung und den Pflichten eines Beamten unvereinbar ist. Der Gehorsam und 
die Treue, welche jeder Beamte, also auch der Communalbeamte dem Staate 
und der Staatsgewalt schuldet, schließen jede Parteinahme des Beamten gegen 
die Staatsregierung und ihre Anordnungen aus; und die allgemenen staats- 
bürgerlichen Rechte, welche der Angeschuldigte aus Art. 30 der Verfassungs- 
urkunde für sich in Anspruch nimmt, finden in der Stellung des Beamten 
eine naturgemäße Begrenzung, indem ihm nicht nur das Strafgesetz, welches 
jeden Staatsbürger bindet, sondern auch die Rücksicht auf die ihm durch seine 
Beamteneigenschaft auferlegten besonderen Pflichten die Schranke zieht, inner- 
halb welcher er von seinen verfassungsmäßigen Befugnissen Gebrauch machen 
darf. Das Haben und Festhalten einer eigenen, mit den Auffassungen der 
Staatsregierung nicht übereinstimmenden Ueberzeugung ist dem Beamten in 
keiner Weise verwehrt; bethätigt er aber diese seine Ueberzeugung durch die 
Theilnahme an Vereinigungen und Agitationen in regierungsfeindlicher Ten- 
denz, so verletzt er damit seine Amtspflichten und zeigt sich des Vertrauens, das 
seine Stellung als Beamter erfordert, unwürdig, und es entsteht also für 
ihn die Frage, ob er mit einer derartigen Bethätigung seiner Ueberzeugung 
zurückhalten oder sein Amt niederlegen will. Die Regierung hatte vor dem 
Eintritt in den Verein gewarnt und da der Beamte den Austritt trotz der 
ausdrücklichen Aufforderung verweigerte, so wäre von einer einfachen Ord- 
nungsstrafe kein Erfolg zu erwarten und da eine Strafversetzung nicht an- 
wendbar ist, so erscheint die Amtsentsetzung gerechtfertigt.“ 
22. Februar. (Preußen.) Abg.-Haus: Der (altkath.) Abg. 
Petri bringt einen Gesetzesentwurf ein über die Verhältnisse der Alt- 
katholiken, der dahin geht, diesen in Preußen dieselben Rechte am 
katholischen Kirchenvermögen einzuräumen, welche ihnen in Baden 
durch übereinstimmenden Beschluß des Landtags und der Regierung 
bereits zugestanden worden sind. Derselbe lautet: 
Das Haus der Abgeordnelen wolle beschließen, dem nachstehenden Ge- 
setze die verfassungsmäßige Zustimmung zu geben: Entwurf eines Gesetzes, 
die Rechte der altkatholischen Kirchengemeinschaften an dem kirchlichen Ver- 
mögen betreffend. Wir Wilhelm  u.  verordnen mit Zustimmung beider Häuser    
des Landtages für den Umfang der Monarchie, was folgt: § 1. In denjeni- 
gen katholischen Kirchengemeinden, aus welchen eine erhebliche Anzahl von 
Gemeindemitgliedern einer altkatholischen Gemeinschaft beigetreten ist, werden 
die venmögensrechtlichen Verhältnisse im Verwaltungswege bis auf Weiteres 
nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen geordnet. — § 2. Der altkatho- 
ischen Gemeinschaft wird der Mitgebrauch der Kirche, der kirchlichen Geräth- 
schaften und des Kirchhofes eingeräumt. Sind mehrere Kirchen (Capellen 
u. s. w.) vorhanden, so kann eine Gebrauchstheilung nach bestimmten Ob- 
jekten verfügt werden. Ist der altkatholischen Gemeinschaft die Mehrheit der 
Gemeindemitglieder beigetreten, so steht der Gemeinschaft der Mitgebrauch der
	        
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