106 Das deutscche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 30.)
30. März. (Bayern.) II. Kammer: Berathung des Bud-
gets für 1876 und 1877. Die ultramontane Zweistimmenmehrheit
hat darauf verzichtet, das Budget, woran sie ursprünglich dachte,
geradezu abzulehnen, und auch darauf, es systematisch zu beschneiden.
Dagegen erlaubt sie sich gegenüber der Regierung allerlei kleine
Bosheiten, wie z. B. den Ansatz für das (anerkannter Maßen aus-
gezeichnet geleitete) statistische Bureau oder wenigstens 19,000 Mark
davon zu streichen.
30. März. (Württemberg.) II. Kammer: Debatte über
eine Reihe eingegangener Anträge bezw. Interpellationen betr. das
Reichseisenbahnproject. Erklärung des Ministers v. Mittnacht.
Schließlich wird der Antrag Elben's bei namentlichem Aufruf mit
80 gegen 6 Stimmen abgelehnt, der Antrag Schmid's mit 80 gegen
6 Stimmen angenommen. 21 Clericale und Democraten motiviren
ihre Abstimmung: sie vermissen im Antrag Schmid's den Hinweis
auf die politische Seite des Reichsbahnprojectes, sind gegen ein
Reichseisenbahngesetz, aber mit dem zweiten Absatz des Antrages, die
Regierung wolle dem Ankauf der preußischen Bahnen durch das
Reich entgegentreten, einverstanden.
Die verschiedenen Anträge bezw. Interpellationen lauten:
I. Der Antrag von Schmid, Sarwey und Gen. (Mehrheit der
deutschen Partei): Die Kammer der Abgeordneten wolle aussprechen: die Ab-
hülfe der Mißstände im deutschen Eiseubahnwesen sei durch ein im Sinne
der Bestimmungen der Reichsverfassung zu erlassendes Reichseisenbahngesetz
anzustreben, nicht aber durch Erwerbung deutscher Eisenbahnen für Rech-
nung des deutschen Reichs; es wolle daher die königliche Staatsregierung
einer auf solchen Erwerb gerichteten Vorlage, namentlich aber Maßnahmen
die Zustimmung versagen, welche den Uebergang des Eigenthums oder des
Betriebs der württembergischen Eisenbahnen an das deutsche Reich herbei-
führen würden.
II. Der Antrag von Elben und Gen. (Minderheit der deutschen
Partei): Die hohe Kammer wolle folgende Erklärung beschließen: die Kammer
der Abgeordnelen richtet an die königliche Staatsregierung das Ersuchen:
1) sie wolle auch im jetzigen Stadium für das Zustandekommen eines wirk-
samen Reichseisenbahngesetzes, durch welches in Ausführung der Bestimmungen
der Reichsverfassung (Art. 4 Nr. 8 und Cap. VII) die aus der Zersplitter-
ung des Eisenbahnwesens in einem großen Theile von Deutschland eni-
springenden volkswirthschaftlichen Schäden beseitigt werden können, nach
Kräften thätig sein: 2) sie wolle, wenn der Ausgang der Verhandlungen
über die neueste preußische Eisenbahngesetzvorlage bezüglich der deutschen Eisen-
bahnreform nur die Wahl läßt zwischen der angebotenen Uebernahme der
preußischen Staatseisenbahnen auf das Reich oder der einseitigen Hinlenkung der
preußischen Eisenbahnpolitik auf Schaffung eines über die preußischen Staats-
grenzen hinausreichenden Uebergewichts des preußischen Eisenbahnsystems, sich
für die Reform durch das Reich entscheiden.
III. Die Interpellation von Oesterlen und Gen. (Ultramontane