110 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 1—5.)
wahrsam genommen, wobei jedoch die Thüren im Generalvicariat
durch einen Schlosser gewaltsam aufgebrochen werden müssen.
In Cöln sind in Folge des sog. Sperrgesetzes bereits das erz-
bischöfliche Palais und 4 Domcurien vermiethet; auch der Weihbischof
Baudri muß seine Wohnung räumen.
1. April. (Würtemberg.) II. Kammer: Berathung des
Budgets: die Gesandtschaft in Wien, welche im vorigen Jahr nur
durch Stichentscheid des Präsidenten aufrecht erhalten worden, wird
dießmal mit der auffallend großen Majorität von 53 gegen 27
Stimmen bewilligt.
2. April. (Bayern.) Die Regierung sieht sich genöthigt,
zwei kath. Volksvereine wegen Ausschreitungen zu schließen.
2. April. (Sachsen.) II. Kammer: Berathung des Budgets:
der Ansatz für die Gesandtschaft in Wien wird mit 34 gegen 31
Stimmen bewilligt.
3. April. (Deutsches Reich.) Bundesrath: der Justizaus-
schuß desselben beginnt seine Berathungen über die Beschlüsse der
Justizcommission des Reichstags bez. der großen Justizgesetzgebungs-
entwürfe.
5. April. (Preußen.) Abg.-Haus: der Gesetz-Entwurf betr.
Einverleibung von Lauenburg wird angenommen.
Birchow will sich weitere Anträge für die zweite, in der Frist von
drei Wochen vorzunehmende Abstimmung vorbehalten, da man Volksäußer-
ungen in Lauenburg abwarten müsse. Fürst Bismarck nimmt das Wort,
um alsbald für die Vorlage einzutreten, da er nicht wisse, ob er wegen
seiner beabsichtigten Badereise noch bei der zweiten Abstimmung gegen-
wärtig werde. Die gesammte Bevölkerung wolle die Einverleibung. Der
Abgeordnete Hammacher (welcher den in Lauenburger Volksversammlungen
zu Tage getretenen Aeußerungen einen sozialbemocralischen Characker beige-
legt hatte) habe nur Zutreffendes gesagt. Birchow könne mit seiner Gegner-
schaft gegen die Einverleibung leicht Unrecht haben; wenn es nach Birchow
gegangen wäre, so würde Lauenburg jetzt unter dem Herzog von Augusten=
burg stehen und noch der deuische Bundestag die Herrschaft über Deutsch-
land führen. Die Einverleibung Lauenburg's sei kein Danaergeschenk. An
die Erwiderung Virchow's, welcher sein Bedauern ausspricht, daß Bis-
marck die Erinnerungen der Conflictszeit berührt habe, und hervorhebt, der
Landtag habe damals das Beste des Landes gewollt, erklärt Fürst Bis-
marck, er könne sich in den Ideengang des Abgeordnetenhauses in den Jah-
ren 1862 bis 1865 völlig hineinleben, und mache daraus Niemanden einen
Vorwurf, er achte die damalige Haltung des Abgeordnetenhauses vollkommen,
habe alle Feindschaft von damals vergessen und der Gegnerschaft gern die
gemeinsame Liebe zum Vaterlande substituirt. Daß man ihm dauernd eine
feindselige Gesinnung entgegentrage, verdiene er nicht, und er glaube, daß
man in einem anderen Lande Europa's einem Zuwachs, wie er hier geboten
sei, nicht widerstreben würde; der finanzielle Zustand Lauenburgs sei sehr gut.