Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 1.) 193
1. November. (Deutsches Reich.) Reichstag: die umfang-
reichen Berichte der Justizcommission des Reichstages über die von
ihr beschlossenen großen Reichsjustiz-Gesetzentwürfe gelangen zur Ver-
theilung.
Dieselben enthalten, da die eingehende Begründung aller einzelnen
Beschlüsse der Commissionen in den Protokollen gegeben ist, nur eine erläu-
ternde, übersichtliche Darstellung der wichtigsten zur Erörterung gelangten
Fragen und der zwischen der Commission und dem Bundesrath obwaltenden
wesentlichsten Differenzpunkte und sind in der That geeignet — wie die Com-
mission hofft — das Verständniß der Ergebnisse der Berathungen dem Reichs-
tag und dem deutschen Volke wesentlich zu erleichtern. Am Schlusse des
Generalberichtes heißt es: „Die Commission ist davon durchdrungen, daß ihr
Werk idealen Anforderungen nicht entspricht und nicht entsprechen kann.
wohl aber darf sie hoffen, daß der Reichstag anerkennen werde, wie sie nach
besten Kräften bemüht gewesen ist, das erreichbar Beste vorzulegen.“ Sehr
treffend hebt der Bericht dann hervor, daß die nationale Rechtseinheit keine
Parteifrage und lein Gegenstand des Streites zwischen den Regierungen und
den Volksvertretungen, ihre Durchführungen vielmehr eine Lebensbedingung
des deutschen Reiches und darum eine Aufgabe sei, die erfüllt werden müsse.
„Die deutschen Justizgesetze“, heißt es endlich, „werden fast überall die Ga-
rantien der bürgerlichen Fosibet vermehren, ohne die energische Handhabung
der Rechtsordnung zu gefährden. Sie werden an die Stelle der verschieden-
artigsten Bestimmungen über die Verfassung der Gerichte und das Verfahren
in Civil= und Strafsachen gleiches, allen verständliches Recht setzen und durch
die einheitlichen Vorschriften über die Handhabung desselben demnächst die
Herstellung eines nationalen materiellen Rechts erleichtern, bis dahin aber
die aus der Verschiedenheit desselben für die wirthschaftlichen und sittlichen
Interessen des Volkes enlspringenden Nachtheile wesentlich vermindern. Diese
Gesichtspunkte leiteten die Berathung der Commission und begründen ihre
Hoffnung auf einen glücklichen Abschluß des großen Gesetzgebungswerks.“
1. November. (Deutsches Reich.) Der Ausschuß des deut-
schen Handelstages beschließt nach einer sehr lebhaften Debatte mit
15 gegen 10 Stimmen: den Reichskanzler um Suspendirung des
Gesetzes vom Juli 1873, betreffend den Wegfall der Eisenzölle mit
1. Januar 1877, zu ersuchen, um vor Abschluß der neuen Handels-
verträge dieses wichtige Compensationsobject nicht bedingungslos
preiszugeben. Das Schicksal der Eisenzölle gilt indeß soweit für
entschieden, als das preußische Ministerium, nach vorher eingeholter
Zustimmung des Reichskanzlers, sich einhellig für die Zurückweisung
aller auf die Verlängerung der Eisenzölle gerichteten Anträge er-
klärt hat.
1. November. (Sachsen.) Der Ministerpräsident und Finanz-
minister v. Friesen tritt zurück. An seine Stelle ernennt der König
den Kreishauptmann v. Könneritz zum Finanzminister. Den Vorsitz
im Gesammtministerium übernimmt der Kriegsminister, die auswär-
tigen Angelegenheiten der Minister des Innern mit.
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XVIl. Bd. 13