Full text: Europäischer Geschichtskalender. Siebzehnter Jahrgang. 1876. (17)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 28.) 55 
Reich oder einen Bundesstaat selbst verächtlich zu machen sucht, wird mit 
Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren 
bestraft.“ Die bisherige Fassung des Paragraphen lautet: „Wer erdichtete 
oder entstellte Thatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffent- 
lich behauptet oder verbreitet, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anord- 
nungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, wird mit Geldstrafe bis zu 
zweihundert Thalern oder Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. 
trotz der eindringlichsten und fast drohenden Empfehlung des Bundes- 
bevollmächtigten und hessischen Ministerpräsidenten v. Hofmann fast 
einstimmig abgelehnt, indem nur die Conservativen und ein Theil 
der deutschen Reichspartei dafür stimmen. 
Bundesbevollmächtigter und hessischer Minister-Präsident von Hof- 
mann: Es sleht bei diesen Paragraphen sehr viel auf dem Spiele, und der 
Ausgang der Debatten wird, wenn ich mich nicht ganz täusche, auf die künf- 
tige Gestaltung der politischen Verhältnisse von Einfluß sein. Ich für meine 
Person würde es lebhaft beklagen, wenn das Verhältniß der Regierungen 
zu diesem hohen Hause und namentlich zu der Partei, die bisher den Kern 
in der Mehrheit des Hauses bildete, chunen und verrückt würde. Ich 
habe aber das Gefühl. daß ein so ernstes Zerwürfniß allerdings droht, wenn, 
wie bisher, die politischen Paragraphen der Strafgesetznovelle, ohne daß man 
auch nur gründlich und eingehend prüft und erwägt (Oho! Ruf: Das ist 
stark!), als reaktionäre Politik zurückgewiesen werden. Präs. v. Forcken- 
beck: Jch muß das Haus auf das Entschiedenste gegen den Vorwurf ver- 
wahren, daß es seine Beschlüsse nicht nach gründlichen Erwägungen gefaßt 
hat. (Lebhafte Zustimmung.) Der Bevollmächtigte fährt fort: Ich sage, 
wenn man Bestimmungen gegenüber, die die Regierungen voreschlagen hoben, 
um bestimmten Mißbräuchen entgegenzutreten, lediglich damit opponirt, daß 
man sagt, es ist eine reaktionäre Politik, so wird man den Gründen der 
Regierung nicht hinreichend gerecht. Ich darf wohl an die Verpflichtung 
der Mitglieder des hohen Hauses, die Gründe der Regierungen sorgfältig zu 
prüfen, appelliren. Für meine Regierung kann ich erklären, daß sie keines- 
wegs aus Lust an politischen Prozessen diesem Paragraphen zugestimmt hat, 
sondern lediglich aus der Ueberzeugung, daß die Paragraphen des gegen- 
wärtigen Strafgesetzes nicht ausreichen, um das Vaterland in seinen höchsten 
Gütern genügend zu schützen. Ich habe nun die ernste Absicht, eine Ver- 
ständigung in Bereff des § 131 anzubahnen und deßhalb nicht gerade auf 
der vorgeschlagenen  Fassung zu bestehen. Eine Fassung wird sich finden 
lassen, wenn Sie nur einen richtigen Gedanken in dem § 131 finden. Es 
handelt sich um die Ehre des Staates, und das Strafrecht ist bestimmt, die 
Nation nicht bloß im Besitz ihrer materiellen, sondern auch ihrer geistlichen 
und sittlichen Güter zu schützen. Der Abg. Windthorst hat gesagt, es gebe 
nichts Fataleres, als wenn man das Strafrecht mit der Politik in Verbin- 
dung bringe. Im Gegentheil, Strafrecht und Politik sind gar nicht von 
einander zu trennen. Zu den Gütern aber, zu deren Schutz die Politik das 
Strafrecht anwenden muß, gehört vor Allem die Ehre des Staates Auf 
die Verfassung des betreffenden Staates kommt dabei nichts an. Die Ehre 
bes Staates gegen innere Feinde zu schützen, bietet allein das Strafgesetzbuch 
die Mittel. Im vorliegenden Falle bedarf es also nur noch des Nachweises, 
daß die vorhandenen Bestimmungen des Strafgesetzbuches nicht hinreichen 
zum Schutz der Staatsehre. Ich kann ihn führen. Ich weise einfach nach 
wie nach unserm Strafgesetz die Ehre des Staates weniger geschützt ist, als 
die des Privaten..... Wenn Jemand einem Andern eine  falsche Thatsache
	        
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