Full text: Europäischer Geschichtskalender. Siebzehnter Jahrgang. 1876. (17)

Das deutsche Reich und leine einzelnen Glieder. (Febr. 25) 85 
ausschließlich an die Sache selbst halte, und ich erlaube mir, in dieser Be- 
ziehung Folgendes zu bemerken: Die königliche Regierung hat, seitdem das 
somnabn Eisenbahnbau-Project in der Oeffenklichkeit hervorzutreten begann, 
überzeugt von der hohen Bedeutung und Tragweite des Gegenstandes, dem- 
selben ihre vollste Aufmerksamkeit zugewendet. Bei den unklaren und wechseln- 
den Umrissen, in welchen der Plan auftrat, mußte vor Allem Werth darauf 
gelegt werden, soweit möglich. Fühlung mit der leilenden Stelle in Berlin 
Zu gewinnen. Die königliche Regierung hat daher ichon vor längerer Zeit 
unter Betonung des Reservatstandpunktes, welcher die baierischen Eisenbahnen 
unter allen Umständen davor sichert, in die Combination einbezogen zu wer- 
den sich mit einer Anfrage nach Berlin gewendet und die Erlangung grund- 
lei Aufschlüsse über die Absichten der Reichsgewalt als wünschenswerth 
bezeichuet. Aus den Mittheilungen, welche in Erwiderung dieser Aufrage 
von Berlin eingetroffen sind und in welchen das baierische Eisenbahn-Reser- 
vat in seiner Bedentung für die vorliegende Frage ausdrücklich und bereit- 
willig anerkannt worden ist, geht hervor, daß die Sache zur Zeit sich noch 
in einem nach keiner Seite abgeschlossenen Stadium befindet. Es hat der 
Umstand, daß die königl. preußische Regierung, veranlaßt durch mehrfache, 
aus dem ausgedehnten Bestande von Privatbahnen herorgegangene Uebel- 
stände, sich schon seit geraumer Zeil mit der Frage einer etwaigen Erwerbung 
der preußischen Privakbahnen beschäftigte, in der weiteren Prüfung der Au- 
gelegenheit zu der Erwägung Veranlassung gegeben, ob es sich nicht empfel- 
len würde, die Durchführung einer solchen Maßnahme für das ganze 
gebiet und zu Gunsten des Reiches in Aussicht zu nehmen. Welcher Weg 
für die Realisirung der Sache sich weiterhin in den Vordergrund stellen 
wird, läßt sich augenblicklich nicht übersehen. Bewendet es bei dem Gedanken 
einer Erwerbung der preußischen Privatbahnen durch den preußischen Staat, 
so handelt es sich um eine interne Angelegenheit Preußens, auf deren Ent- 
scheidung eine Einflußnahme nicht in Anspruch genommen werden kann. 
Würde dagegen in engerem oder weiterem Rahmen ein Eisenbahn-Erwerb 
durch das Reich in Anregung gebracht werden, so würde die Zustimmung 
der nach der Reichsverfassung hierzu berufenen Factoren erforderlich sein. 
Für den Standpunkt der königl. Regierung in der Sache ist zunächst das 
Reservatrecht maßgebend, welches jede unmittelbare Berührung der bairischen 
Bahnen durch das schwebende Project von vornherein ausschließt. Dabei 
hat sich jedoch die königl. Regierung mit Rücksicht auf die Stellung, welche 
Baiern als Bundesglied und abgesehen vom Reservatstandpunkte einnimmt, 
die weitgreifenden Bedenken nicht verhehlen können, welche das Project, in 
so weit bei demselben ein Eisenbahn-Erwerb durch das Reich in Frage kommt, 
für die Gesammtheit der verbündeten Staaten haben müßte. Sie hat sich 
der Besorgniß nicht zu erwehren vermocht, daß auf diesem Wege die Mög- 
lichkeit geschaffen werden könnte zu einer fühlbaren Veränderung derjenigen 
Grundlagen, auf welchen die gegenseitige Stellung der Gesammtheit des Reiche 
und seiner Glieder beruht. Von dieser allgemeinen Erwägung ausgehend, 
hat die königl. Regierung nicht unterlassen. in der Bundesfreundlichen Form, 
welche die beiderseitigen guten Beziehungen ermöglichen und vorzeichnen, auf 
gesandtschaftlichem Wege ihre ernsten Bedenken in ausführlicher Darlegung 
zum Ausdruck zu bringen und hiermit denjenigen Weg zu betreten, der sich 
als der nöchstliegende darzubieten schien. Ein Eingehen in die Details der 
Frage ist in der gegenwärtigen unentwickelten Phase derselben nicht thuulich. 
Ich glaube aber, es dürften schon die vorgetragenen Bemerkungen genügen, um 
nachzuweisen. daß die Annahme der iih.pB- als habe die königl. Re- 
gierung in dieser hochwichtigen Sache noch gar nicht Stellung genommen 
und als bedürfe sie einer Anmahnung für ihre pflichtmäßige Thätigkeit in
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.