Full text: Europäischer Geschichtskalender. Siebzehnter Jahrgang. 1876. (17)

90 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 3.) 
lung der Mehrheil gegen das Ministerium noch immer dieselbe wie vor Ver- 
tagung des Landtags seei; die Situation sei eine ganz eigenthümliche; das 
Verhalten des Ministeriums sei seither nicht anders geworden, er vertraue 
zwar, daß Staatsminister v. Pfrehschner seiner jüngsten föderalistischen Aueße- 
rung treu bleiben werde, aber in den innern (Schul= und Kirchen-) Fragen 
sei die Situation verschlimmert Sie (die Clericalpatriolen) würden aber 
um teine Stockung der Staatsgeschäfte zu veranlassen, die Steuern bewil- 
ligen und das Budget prüfen. Sie seien Sr. Majestät allergetreueste Oppo- 
sition. Staatsminister v. Pfretschner erklärt darauf: Und wir sind 
Sr. Majestät getreuestes Ministerium. 
3. März. (Sachsen.) II. Kammer: Debatte über die Reichs- 
eisenbahnfrage in Folge zweier principieller Anträge, welche aus der 
Mitte der Kammer gestellt worden sind. 
Der Antrag der Majoritäl (Eysoldt und 56 Genossen — Conser- 
vative und JFortschritt) lautet: „an die Staatsregierung das Gesuch zu 
richten, einer auf die Erwerbung der deutschen Eisenbahnen oder eines 
Theilo derselben gerichtelen Vorlage im Bundesrathe ihre Zustimmung zu 
versagen.“ Der Antrag der Minorität (Abg. Biedermann und Ge- 
nossen Nationalliberale) lautet: „die Staatsregierung zu ersuchen, für 
möglichst baldige Zustandebringung eines Reichseisenbahngesetzes, durch welches 
den Klagen über Mißstände des Eisenbahnwesens Abhilfe geschafft wird. nach 
allen Kräften zu wirken.“ 
Staatsminister Frhr. v. Friesen: Die Ansicht der sächsischen Regie- 
rung über das Reichseisenbahnprojekt sei ziemlich bekannt Er habe nie ein  
Geheimniß daraus gemacht und halte es für wünschenswerther, daß die Kam- 
mer sich ausspreche und der Regierung so eine Stütze gebe. Aber Angesichts 
des Wunsches der Deputation und der zurückgezogenen Interpellation des 
Abgeordneten Walter glaube er sich doch über die Sache äußern zu müssen, 
so schwierig dies sei, da ein eigentlicher Plan hier nicht vorliege. Seit einem 
halben Jahre werde die Sache in der Presse venlilirt, und wenn man in dieser 
etwas orientirt sei, so könne mon allenfalls herausfühlen, was dahinter stecke. 
Nachdem man indeß (ohne sie beweisen zu können) sich auf angebliche persön- 
liche Aeußerungen berufen und die öffentliche Meinung mehr und mehr in 
Unruhe gerathen sei, habe die Regierung vor einigen Monaten in Berlin 
ganz vertraulich angefragt, was an der Sache sei. Die Regierung, die in 
den verbündeten Regierungen ein zusammengehöriges Ganzes erblicke, sei mit 
ihrer Aufrage auf eine entsprechend bundesfreundliche Gesinnung gestoßen. 
Sie habe aus der Antwort ersehen, daß die Idee in ganz elementarer Gestalt 
bestehe, daß aber die sächsischen Staatsbahnen ganz außer Betracht lägen. 
Seit der Zeit (vier bis fünf Wochen zurück) häuften sich allerdings sehr be- 
stimmt lautende Zeitungsnachrichten, die indeß in keiner Weise verbürgt seien. 
Die zum Theil sehr extravaganten Aeußerungen einzelner Blätter dürfe man 
nicht für Regierungsauslassungen ansehen. Bedenklich sei ihm dagegen der 
zweite Antrag (Biedermann) und er wünsche denselben als selbständigen von 
einer Deputation vorberathen zu sehen. In Bezug auf den Verlauf der 
Eisenbahngesetzverhandlung, die man fälschlich als am Particularismus ein- 
zelner Staaten gescheitert bezeichne, müßten zur Klärung der Ansichten Do- 
cumente ect. vorgelegt werden, was augenblicklich nicht geschehen könne. Ueber 
den ersten Entwurf habe gar keine Berathung, über den zweiten eine infor- 
matorische Berathung von Kommissarien stattgefunden, die in der Hauptsache 
abfällig ausgefallen, aber nicht aus particularistischen Gründen, vielmehr 
habe man Anstoß genommen an der unmittelbaren Specialaussicht durch das
	        
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