Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

N desische Reich und seine einzelsen Elieder. (April 13) 95 
sormellen Standpunkte unter gewissen Voraussehungen, deren thatsächliche 
Richtigkeit der Slaatsfelretär v. Bülcw befstätiot hat, nichts eingewendet 
werden. Ich will jehzt die Bedenken untersuchen, welche der Abg. Hänel 
gegen die Folgen erheben hat, welche eine häufigere Wiederlehr und längere 
Dauer des gegenwärtigen Zustandes mit sich führen könnte. Da ein be- 
stimmter Antrag nicht gestellt ist, halle ich es nicht für angemessen, die Siell- 
vertretungsfrage zu erörtern, da ja die Anfangs kbeabsichtigte wirkliche Stell- 
vertretung formell spater ausgegeben wurde und der Urlaub mit der Ver- 
tretung der laufenden Geschäfie aun die Stelle gesetzt wurde, zumal wir heute 
vom Staatssekretär v. Bülow die beruhigende Erklärung erhalten haben, daß 
in der Verantwortlichkeit für die Leitung der Gesthäfte nichts geändert wor- 
den ist. Bei den bevorstehenden Erörterungen wichtiger handelspolitischer 
Fragen werden wir uns von dem Vorhandensein einer verantwortlichen Hal- 
tung und des Einverständnisseo zwischen dem Reichskangler und seinen! Ver- 
tretern überzeugen können. Den Erörterungen des Abg. Hänel über die Frage 
der verantwortlichen Reichoministerien, der Auefüllung verschiedener Lücken 
in unserer Verfassung und einer einheitlichen Ordnung der Reichoregierung 
würde ich, wenn sie sich an einen bestimmten Antrag angeschlossen hätten, 
entgegengetreten sein in diesem Angenblicke, nicht aus sachlichen Gründen, 
sondern aus Gründen der natürlichen Rücksicht auf den einzgigen verantwort- 
lichen und hervorragenden Reichsbeamten, mit dem solche Verhältnisse allein 
geordnet werden können (Sehr richtig .r während es unmöglich erscheint, so“ 
lange der Kanzler im Amte ist, diese Dinge ohne ihn ordnen zu wollen, am 
wenigsten in dem Augenblicke, wo er sich auf Urlanb begibt. (Sehr richtig.!) 
Meine politischen Freunde wie ich halten diese Fragen einer endlichen Rege- 
lung bedürftig, und diese Meinung ist durch die Ereignisse der letzten Mo- 
nate und Wochen noch verstärkt worden. Diese Dinge kann man aber nicht 
aus der Initiative eines Parlaments allein regeln, sondern nur im Einver- 
ständniß mit einer Regierung in Deutschland, mit dem Kanzler, welcher die 
Verantwortlichkeit für die darin liegenden bedeutungsvollen Verfassungsände- 
rungen glaubt übernehmen zu können. Solche Dinge in einem ungeeigneten 
Momente anzurühren, würde die Megelung in einem günstigeren Augenblicke 
nur erschweren und verzögern. DTeßhalb bin ich dem Abg. Hänel dankbar, 
daß er uns nicht in die Lage gebracht hat, einen dahin gehenden Antrag im 
Augenblick ablehnen zu müssen. Diese Dinge haben den Reichstag und nord- 
deutschen Bundestag wiederholt beschöftigt. Bei der Constitnirung des letz- 
teren und im Jahre 1869 sud Beschlüsse auf Einführung verankwortlicher 
“ 7 gefaßt worden; seitdem ist die Frage nur gelegentlich be- 
Fochen. edoch Anträge sind nicht gestellt und Beschlüsse nicht gefaßt worden. 
Daß die Mönael und Lücken der Verfassung noch vorhanden sind, ist dem 
Kanzler und der Reichsregierung nicht unbekannt, und ebensowenig, daß sich 
auch in diesem Hause eine Majorität finden würde, mit der Regierung an 
die Lösung dieser Frage zu gehen. Die Lösung dieser Jrage bei uns ist nicht 
so leicht, wie in einem Einheitsstaat. Nicht allein die Frage, wie die Reichs- 
regierung in sich geordnet werden soll, wie die Verantwortlichkeit der ein- 
zelnen Träger von Ministerien gegenüber dem Reichstag beschaffen sein #el. 
wie das Verhältniß des Kanzlers zu diesen Ministerien sein foll, 
auch die Frage des Verhöltmises des Reichsministeriums zu den budern 
staaten, zum Bundesrath und dessen Ausschüssen muß gelöst werden. Selbst 
wenn man darauf verzichten würde, diese Dinge alle systematisch zu regeln, 
müßte man die Nückwirkung der Errichtung von Reichsministerien auf diese 
Verhältnisse berücksichtigen. Der Abg. Hänel und seine politischen Freunde 
denken ja Über die Regelung staatsrechtlicher Fragen anders als wir, u 
weil diese Verhältnisse nicht systematisch geregelt waren, glaubten sie der 
 
	        
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