Das derisqhe Reich und seine rinzelnen Glieder. (April 13.) 93
sönliches Loblied für die persönliche Kraft des Reichslanzlers, aber wahr-
haftig vielleicht auch zugleich die schwerwiegendste Verurtheilung der Organi-
sation. Ich habe nach wie vor die Ueberzeugung, daß von einer richtigen
gesetzlichen Organisation jedes weitere Forkschreiten in einer gesunden Ent-
wicklung unseres deutschen Reiches bedingt ist, und daß wir den größten
Gefahren ausgesetzt sind, wenn wir nicht in guten Zeiten an die Reorgani-
sation gehen. Ich kann für diese dringende Nothwendigkeit, die zu betonen
gerade der geschlossenen Reichskanzlerkrisis gegenüber nicht nur unser Recht,
sondern auch unsere schwerwiegende Pflicht ist, nach wie vor keine anderen
Formen finden, als die altbekaunten und von uns vertheidigten: die gesetz-
liche Organisalion eines Reichsministeriums. Es war die Absicht meiner
Partei, Ihnen eine Resolution vorzulegen, welche diese Interpretation geben
sollte, die ich vorhin dem Schreiben des Reichskanzlers gegeben habe, und
welche die Aufforderung enthalten sollte, endlich zur Organisation eines ver-
antwortlichen Reichsministeriums vorzugehen. Wir haben aber diese Absicht
aus taktischen Gründen fallen lassen, weil unserem Vorgehen formelle Gründe
entgegengestellt werden sollen, und weil wir nicht wünschen, daß diese Frage
aus derartigen Gründen eine scheinbare Verwerfung erfahre. Dies ist es
allein gewesen, was es uns hat angezeigt erscheinen lassen, das Schreiben des
Reichskanzlers lediglich einer mehr oder minder theoretischen Erörterung z
unterziehen. Staatssekretär v. Bülow: Der Vorredner hat gefragt,
zwei Voraussetzungen zutreffen; ich will mit der Antwort nicht säumen. 2
erste Voraussezung war, daß jede Contrasignatur eines kaiserlichen Erlasses
auch während der Beurlaubung vom Reichskanzler ertheilt werde; die zweite,
daß mit der Stellvertretung des Reichskanzlers, wie sie in dem vorliegenden
Schreiben dem Reichstage mitgetheilt wird, die Verantwortlichkeit des Reichs-
kanzlers für die oberste Leitung und sein gesammtes juristisches Verhältniß
zum Reichstag keine Aenderung erleide. Diese Voraussezngen sind richtig,
und ich kann sie bejahen. Es wird, da es sich nur um einen Urlaub handelt,
in den juristischen Verhältnifsen des Reichskanglers in dielen beiden Fragen
eine Aenderung nicht eintreten. Abg. v. Bennigsen m Wunsche des
a. Hänel, das vorliegende Schreiben des genaissen. einer Besprechung
z k#tggsehen, haben wir uns nicht, hat sich keine Partei widersetzt. Es wäre
für die Vertretung der deutschen Nation unnatürlich gewesen, wenn sie
den Bielen unerwarteten Ausgang der Krisis der letzten Wochen ganz unbe-
sprochen gelassen hätte. Das Abschiedsgesuch des Reichskanglers und die sich
daran knüpfenden persönlichen und staatsrechtlichen Fragen haben dazu eine
viel zu große Aufregung in Europa und in Deutschland hervorgerusen. Ich
gehe aber nicht so weit wie der Abg. Hänel, daß ich die Rolle, welche der
Reichstag in dieser Angelegenheit spielt, für eine bedauerliche oder beschämende
balten sollte. Wie sollte auch der Reichstag eine unmittelbare Einwirkung
eanspruchen können auf die Hauptfrage, welche in den letzten Wochen den
Kanzler und seinen kaiserlichen Herrn, feine Mitarbeiter am Werke der deut-
chen Gestaltung und Verwaltung, die ganze Nation aufgeregt hat?
ollten wir woh- einen Einfluß darauf gewinnen, wenn unzweifelhaft feststeht,
daß der entscheidende Grund für das HKuch des Kanzlers gelegen hat in der
Ueberarbeitung und Ueberspandung der Kräfte auch des gewaltigsten Mannes
in einer langen Arbeit der aufreibendsten und verantwortlichsten Art? n
Vertreter der Nation können dem Kanzler dafür dankbar sein, daß er bei
diesem seinem Gesundheitszustande, bei diesen Hemmnissen, die eine Thätigkeit
an so hervorragender Stelle nothwendig mit sich führen muß, durch die ganze
Lage Deutschlands Angesichts der drohenden Verwickelungen im Orient, durch
die großen Schwierigkeiten, denen wir noch in der inneren deutschen Politik
zu begegnen haben — daß er sich Angesichts auer dieser Aufgaben, zu deren