Das deuische Reich und seine rinzelnen Glieder. (August 2—5.) 127
2. August. (Deutsches Reich.) Der bisherige Botschafter
in Konstantinopel, Prinz Reuß, wird an die Stelle des Grafen
Stolberg zum Botschafter in Wien ernannt.
— August. (Deutsches Reich.) Die öffentliche Meinung
ist darüber einig, daß der christliche Sozialismus der Hofprediger-
Partei in Berlin Fiasco gemacht hat.
Die gute Absicht wird nicht geläugnet. Die Aufgabe der Kirche ist
es, der Rohheit und Genußsucht der Leute und ebenso auch auf sittlich-religiösem
Wege jeder Ausbeutung der niederen Klassen aus Habsucht entgegruguarbeilen;
nimmermehr aber sollen Geistliche au Vereinen jener Art sich betheiligen,
welche die schwierigen Fragen über Lohn und Arbeit in roh dilettantischer
Weise, weil sie davon offenbar nichts verslehen, behandeln. Nur kurze Zeit
hatte der sog. christliche Sozialis zuss für Manche etwas Blendendes, diese
Zeit ist vorüber; fein totales Fiasko ist außer Zweifel; selbst in Berlin
hängt die ganze Sache nur noch an einem einzigen Hofprediger.
2. August. (Preußen.) Das Ordinarium des preußischen
Staatshaushaltes für 1877/78 ergibt ein Defizit von ca. 20 Mill.,
eine Thatsache, die von den Anhängern des Tabakmonopols sofort
in ihrem Interesse ausgebentet wird.
ndeß ist das Defizit keineswegs durch Mindererträge der preusischen
Steuern entslanden. Die Erträge dieser Steuern sind ja größtentheils fixirt.
Die Grund= und Gebändesteuer ist feststehend, ebenso die Classensteuer, und
starke Schwankungen in dem Ertrage der Einkommensteuer sind der Natur
der Sache nach ausgeschlossen. Der in Rede stehende Ausfall in den Ein-
nahmen des Prauhilschen Staats rührt aus den jogenannten Betriebsverwal-
tungen her, d. h. aus der Eisenbahnverwaltung, aus der Berg= und Hütten-
verwaltung und aus der Forstverwaltung. Auf den Ertrag der Eisenbahn=
verwaltung drückt die gange wirthschaftliche Krisis, auf den Ertrag der
Bergverwaltung das Sintken der Kohlenpreise und auf den Ertrag der Forsl-
verwaltung das Sinken der Holzpreise. Die Staatsindustrien sind eben den-
selben Schwankungen unterworfen wie die Privatindustrie.
3. August. Congreß: Die Auswechselung der Natifikations-
urkunden des Verliner Verkrags findet zwischen den Vevollmächligten
Deutschlands, Oesterreich-Ungarns, Englands, Frankreichs, Italiens
und RNußlands statt. Der türkische Botschafter gibt die Erklärung zu
Protokoll, daß der Sultan die Ratifikation vollzogen und den Ver-
trag als vom heutigen Tage an in Giltigkeit getreten anerkenne.
Die spätere Auswechfelung der türkischen Urkunden, welche nicht
rechtzeitig eingetroffen sind, bleibt vorbehalten. Wiederholtes Ersuchen
der Pforte um Verlängerung der Frist war von Deutschland, dem
Wächter über die Ausführung dieser Vertragsbestimmung, rund ab-
geschlagen worden.
5.—8. August. (Deutsches Reich.) Die Finanzminister der
Einzelstaaten treten auf Anregung des Neichskanzlers in Heidelberg