Das deulsche Reich und seine einkelnen Glieder. (Sept. 3—.0.) 131
Anfang September. (Deutsches Reich.) Eine vom Reichs-
kanzler beantragte Pression der Mächte auf die Pforte im Interesse
einer möglichst raschen Ausführung des Berliner Vertrags und zu
Gunsten Griechenlands scheitert an dem Widerstande Englands.
Während Rußland, Oesterreich und Frankreich sofort bereit waren,
dem von Deutschland vorgeschlagenen Collectivschritt der Mächle bei der
Pforte wegen der Ausführung des Berliner Vertrags beigutreten, forderte
Italien, das vertraulich erklärt hatte, sich der Haltung Englands anzu-
schließen, als Bedingung seines Beitritts die gängliche Einhelligkeit der
Mächte. Lord Salisbury's Antwortnote wurde nicht nur in Berlin über-
reicht, sondern wahrscheinlich auch den anderen Mächten vertraulich mit-
getheilt. Dieselbe erklärt, die kurze, seit dem Verlragsschlusse verstrichene
Zeit gestatte noch kein sicheres Urtheil über die Ausführung des Vertrags.
Die Räumung Varnas, Schumlas und Batums beweise den besten Willen
des Sultaus, den eingegangenen Verpstichtungen nachzukommen; auch müßten
die inneren Schwiercgkeiten der Pfort e ach einem die Neichshälfte auf-
reibenden Kriege berücksichtigt werden. ie deutsche Regierung besteht an
gesichts der Ablehnung Englands und der Zurückhaltung Italiens vorläufig
nicht weiter auf ihrem Vorschlage.
3. September. (Deutsches Reich.) Der in Posen zusam-
mengetretene volkswirthschaftliche Congreß spricht sich nach einläß-
licher Debatte entschieden gegen die Einführung des Tabakmonopols
in Deutschland aus, da dasselbe aus wirthschaftlichen Gründen ver-
werflich erscheine und insbesondere eine über viele Kreise Deutsch-
lands ausgebreitete, nicht nur für den inländischen Bedarf, sondern
auch in erheblichem Umfange für den Export arbeitende Industrie
und Handelsthätigkeit vernichten würde. Wenn die Nothwendigkeit
eines höheren Ertrags aus den indirekten Steuern begründet fei, so
sei eine Mehrbelastung des Tabakconsums als zulässig anzusehen.
3.—5. September. (Bayern.) Der Kronprinz des deutschen
Reichs und von Preußen inspizirt wie alljährlich das bayerische
Armeekorps.
9. September. (Deutsches Reich.) Der Kronprinz befiehlt
eine — von der öffentlichen Meinung lant geforderte — kriegs-
gerichtliche Untersuchung über den Untergang des großen Kurfürsten.
9. September. (Deutsches Neich.) Zusammentritt des neu-
gewählten Reichslags. Der Stellvertreker des Neichskanglers, Graf
zu Stolberg Aernigerode verliest die Thronrede. Dieselbe lautet:
# die letzte Session geschlossen wurde, befand sich das deutsche
Volk noch —* dem Eindruck der tiefen Erregung, welche ein gegen die
Person Sr. Majestãt des Kaisers gerichteter Mordversuch hervorgerufen
hatte. Schon wenige Tage darauf hat sich abermals und mit unheilvollerem
Erfolge die Hand eines Verbrechers gegen das Oberhaupt des Neiches rrhoben.
Gottes Cmade bewahrte zwar auch diesmal das Leben des Kaisers, aber die
erliltenen schweren Verwundungen haben Se. Majestät - bis zur