Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Daao beulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oct. 1—2.) 149 
störung der Preßfreiheit schon äußerlich undurchführbar. Dagegen soll das 
Gesetz verhindern, daß fernerhin in Vereinen, Bersammlungen und in der 
Presse Bestrebungen sich geltend machen, welche die unter allen Umständen, 
allenfalls mit Gewalt herbeiguführende Umwandlung der Grundeinrichtung 
des Staates oder der Geiellschaft als Ziel hinstellen. oder ohne ausdrückliches 
Bekenntniß nach dem gewöhnlichen Verl an der Dinge unter Störung des 
öffentlichen Friedens auf dieses Ziel hinauslaufen. Demgemäß brzeichet ber 
von mir vorgeschlagene § 1 zwei gesonderte Fälle, in denen das Verbo 
Staates eintreten darf. Der erste Fall (Abs. 1) behandelt Vereine, Pes 
den gesammten Inhalt ihrer Thätigkeit auf den Umsturz der bestehenden 
Staats= oder Gesellschaftsordnung richten, indem entweder die Satzungen dieß 
ausdrücklich anerkennen oder andere für den Verein verbindliche Regeln es 
darthun, oder indem der Verein, ohne ausdrückliche Erklärung oder neben 
einem bloß zum Vorwande dienenden Inhalt der Satzungen, seine Einrich- 
tungen nach jenem Zweck gestaltet und durch konkludente Handlungen die 
bezeichnete Zweckbestimmung darlegt. Der weitere Fall (jetzt Absatz 2) be- 
handelt Vereine, welche wahrheitsgemäß einer zulässigen Zweckbestimmung 
dienen, daueben aber Bestrebungen, welche darauf gerichtet sind, den Umsturz 
der bestehenden Staats= oder Gesellschaftsordnung herbeinführen, in ihrer 
Mitte zur Geltung und zum erkennbaren Ausdruck gelaugen lassen. Beide 
Fälle wenden sich gegen die Methode der Agikation, welche durch die Ge- 
waltsamkeit ihres Zieles oder der Mittel den öffentlichen Frieden gefährdet. 
Das Moment der Gewaltsamkeit bezeichnet der Ausdruck „Umsturz“; die 
durch diesen Ausdruck charakterisirten Bestrebungen treten in Gegensat Zzu 
einer reformatorischen Thätigleit, welche die allmähliche Umleitung der ge- 
gebenen in völlig neue Verhältuisse durch den Wechsel der öffentlichen Ueber- 
zeugung herbeizuführen strebt, und diese Ansicht nicht durch bloßes Wort- 
bekenntniß, sondern durch die Wahl der Mittel darthut. Die Friedens- 
gesährdung tritt erst ein, wo die Gewalt als nothwendiges oder zulässiges 
Mittel erkannt wird oder troh wörtlicher Ableugnung in schlüssiger Weise 
aus den Handlungen sich ergibt. Eignet der Verein sich die bezeichnete Zweck- 
bestimmung an (Abs. 1), so braucht zur Unterdrückung derfelben nicht erst 
eine friedensgefährdende Handlung abgewartet zu werden, wenn eine jenem 
Zweck entsprechende Wirksamkeit die Friedeusgefährdung mit vollster Wahr- 
scheinlichleit erwarten läßt. Wo dagegen ein Verein mit an sich zulässiger 
Zweckbestimmung wegen zur Geltung gekommener Bestrebungen der bezeich- 
nelen Art verboten werden soll (Absatz 2), muß der Thatbestand durch frie- 
deusgefährdende Handlungen erkennbar gemacht sein, doch in analoger Fol- 
gerung, wie in der Begründung des ersten Mosahle durchaus unwahrscheinlich 
ist, daß jene Bestrebungen sich geltend machen solllen. so lange keine den 
öffentlichen Frieden gefährdende Handlung vorliegt. Die Worte „die Ein- 
tracht der Bevölkerungsklassen“" (gefährdende) sollen eine spezielle Art der 
Friedensgefährdung hervorheben, welche zwar ohnehin unter den Hauptbegriff 
fällt, hier aber um deßwillen besonders hervorgehoben wird, weil geschichtlch 
dieses Symptom fast ausschließlich die unter das Verbot zu stellende Agi- 
tationsmethode beherrscht hat.“ — Bei der Abstimmung wird der Antrag 
v. Goßler, an Stelle des Wortes „Umsturz“ zu setzen „Untergrabung" mit 
13 gegen 7 Stimmen abgelehnt, dagegen im Absatz 2 nach dem Antrage des 
Abg Brüel die Worte „oder die Eintracht der Bevölkerungsklassen“" mit 12 
en 7 Stimmen gestrichen und endlich der ganze Paragraph mit diesen 
-bnderungen mit 12 gegen 8 Stimmen angenommen. 
eber die ganze Berathung zweiter Lefung äußert sich eine 
wesentlich geguerische, aber im Ganzen ziemlich objeklive Darstellung folgen- 
dermaßen: „Die Commission hatte schon in ihrer ersten Berathung sich der-
	        
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