Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 7.) 177
Papste für die Wiederherstellung des kirchlichen Friedens in Deulschland in
Wahrheit und dauernd gelingen soll, so muß durch die berufenen kirchlichen
Autoritäten und aus der katholischen Bevölkerung heraus dem verwirrenden
und vergiftenden Treiben der Partei ein Ziel gesetzt werden, deren einfluß-
reichsten Führern das Interesse der Kirche nur der Deckmantel für politisch
unterwüh ende Zwecke ist, und welche der Erwarkung des Papstes in Bezug
auf die Treue der katholischen Uutertomen des deutschen Reiches durch ihr
anzes Verhalten offen Hohn sprechen.“ Die Antwort der „Germania“ aber
heht darauf hinans: „Angefeindet unter dem Vorwande, daß das Centrum
als eine bloß religiöse Partei keine Existenzberechtigung habe, verleumdet als
vaterlandslose, von Nom abhängige Coterie, hat es mit Energie nicht bloß
die religiösen, sondern auch die politischen Interessen seiner Wähler vertreten.
Es darf mit Zuversicht der neuen Phase des Kampfes entgegensehen, in der
man es verleumdet und anfeindet, weil es das ist, was es früher nach den
Wünschen der Geguer, sein sollte: — nämlich eine politische Partei. Als
solche wird es nach wie vor seinen Grundsätzen gemäß der Vertheidigung der
religiösen und bürgerlichen Rechte dienen und für Wahrheit, Necht und
Freiheit ungebrochenen Muthes kämpfen.“
7. November. (Preußen.) Der J. Z. in Rom wohnende
staatlich abgesetzte Erzbischof von Posen, Cardinal Ledochowski, wird
vom Kreisgericht zu Inowrazlaw wegen der Excommunication des
vom Staate angestellten Propstes Kolany in Groß-Morin (Mur-
zynno) zu 18,000 — Geldbuße event. zu 2 Jahren Gefängniß ver-
urtheilt.
Wegen desselben Bergehens, wegen welches er sich in IJnowrazlaw zu
verantworten hatte, ist der Cardinal bereits von den Kreisgerichten in Posen,
Meseritz und Birnbaum gu erheblichen Geld= event. Gefängnißstrafen ver-
urtheilt worden. Eine sechste Verhandlung steht ihm nächstens vor dem
Kreisgrricht in Deutsch-Crone bevor wegen Verhängung des großen Kirchen-
bannes über den staatstreuen Geistlichen Lizak. Es wird bemerkt, daß der
Trommunicationzlustige Cardinal unter der Regierung des gegenwärtigen
apstes Leo XIII. noch kein Excommunicationsdecret gegen einen staatstreuen
Geistlichen erlassen hat.
7. November. (Mecklenburg.) Eröffnung des Landtags in
Malchin. Unter den Propositionen der Regierungen befindet sich
vorerst keinerlei erneuerte Anregung zur Revision der Verfassung.
Inzwischen ist die Theilnahmslosigkeit in allen Kreisen der Bevölkerung
gegenüber diesem Landtage wo möglich noch größer als früher. Immer all-
gemeiner wird -m mit Ausnahme der kleinen Feudalpartei, welche sich voll-
ständig in den mittelalterlichen Anschaunngen sestgerannt hat — die Ueber-
zeugung, daß der bisherige Zustand unmöglich noch länger forlbestehen kann
und Mecklenburg nach so langem Harren und Zandern endlich einmal aus
seiner traurigen Ausnahmsstellung in ganz Europa erlöst werden muß.
Selbst von den Hunderten adeliger Nittergutebesitzer, welche nach der Feudal-
verfassung die Nitterschaft des Landtags bilden, finden es kaum 20 —30 der
Mühe werth, einige Tage auf dem Landtage zu erscheinen, während von den
bürgerlichen Rittergutsbesitzern oft kaum zwei bis drei dafelbst anwejend sind,
so daß außer den hochbesoldeten und lebenslänglich angestellten Bürgermeistern
der meisten Städte (mehrere der größten Städte Mecklenburgs, 3. B. Wiemar
mit 15,000 Einwohnern, haben gar keine Stimme auf dem Landtag) eine
Schulthess, Europ. Geschichtslalender. XIX. . 12