Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 19.) 183 
Schlusse der vorigen Session das Vaterland in der Person Sr. Majestät des 
Kaisers und Königs betroffen; das theure Leben des Monarchen, zweimal 
bon Frevlerhand bedroht und gefährdet, ist durch Gottes gnädiges Walten 
dem Volke erhalten und in fast wunderbarer Weise neu gestärkt worden. 
Die Tage der Trübsal und Prüfung aber sind zugleich Tage vaterländischer 
Erhebung und Bewährung geworden; un Neuem hat sich in allseitigen leb- 
haften Kundgebungen offenbart, daß das Herz des Bolles in trener Liebe 
und Verehrung bei seinem Könige ist. Die Bethätigung dieses patriotischen 
Geistes, sowie der tiefe und nachhaltige Eindruck jener schweren Erfahrungen 
gewähren die Zuversicht, daß es gelingen werde, die traurigen Verirrungen, 
zu deren äußerer Einschränkung die Reichs gesehgebung die unerläßlichen Hand- 
haben gewährt hat, durch vertrauensvolles Zusammenwirken aller siaals- 
erhaltenden Kräfte, in ernster Fürforge für das allseitige Gedeihen des Volkes 
allmählich auch innerlich zu überwinden. Das innige Band, welches das 
Volk mit seinem Fürstenhause verbindet, hat sich auch in dem zuversichtlichen 
Vertrauen bewährt, welches Sr. laiserl. und lönigl. Hoheit dem Kronprinzen 
bei der einstweiligen Führung der Regierung von allen Seiten entgegen- 
gebracht worden ist, und welches Höchsidemselben die Erfüllung der chweren 
Aufgabe im Sinne Sr. Majestäl des Königs -wesentlich erleichtert hat. Die 
Staatsregierung nimmt für die beginnende Session Ihre Mitwirkung vor 
Allem zur Lösung der Schwierigkeiten in Anspruch, welche auf dem Gebiele 
der Finanzverwaltung hervorgetreten sind. Zwar hat das letzte Ber- 
wallungsjahr, wie Sie aus der Ihnen alsbald vorhwlegenben Uebersicht der 
Einnahmen und Ausgaben desselben ersehen werden, wiederum noch einen 
nicht unerheblichen Ueberschuß ergeben. Allein die abermali ige Erhöhung des 
Matricular-Beitrages für das Reich nimmt diesen Ueberschuß fast vollständig 
in Anspruch, so daß nur ein geringfügiger Betrag davon für die Ausgaben 
des nächsten Jahres zur Verfügung bleibt. Bei diesen Ausgaben ist außer 
dem erhöhten Matricularbeitrag für das Neich ein beträchtlicher Mehraufwand 
zur Verzinsung der öffentlichen Schuld und für einige andere unabweisliche 
Bedürfnisse vorzufehen, während Ersparungen nur in geringem Umfange 
thunlich erscheinen, wenn dies Schädigung wichtiger Interessen und die Ver- 
kümmerung erfrenlicher Entwickelungen vermieden werden joll. Große ein- 
malige Einnahmen, wie sie in den dießiährigen Etat eingestellt werden konnten, 
sind für das nächste Jahr auch nur in annähernder Höhe nicht vorhanden, 
die regelmäßigen Ginahmegucllen des Stlaates aber lassen unter dem leider 
noch fortdauernden Druck, der so lange schon auf fast allen Gebieten der 
Erwerbslhätigkeit lastet, ein irgend in's Gewicht fallendes Mehrerträgniß 
nicht in Aussicht nehmen. Die Einnahmen reichen daher auch zur Deckung 
der ordenklichen Ansgaben nicht hin. Die zur nothwendigen baldigen Be- 
seitigung dieses Mißverhältnisses erforderlichen Mittel werden auf dem dem 
Reiche überwiesenen Gebiete der Besteuerung zu. suchen und, wie die Staals- 
regierung fest vertrank, zu finden sein; bis dahin aber wird es nöthig sein, 
die zur Erwägung der Einnahmen des nächsten Staatshaus zhalts-Etats erfor- 
derlichen Mittel im Wege der Anleihe zu beschaffen. Der nach diesen Ge- 
sichtspunlten aufgestellte Etat und ein denselben ergänzendes besonderes 
Anleihegeseth werden Ihnen unverzüglich vorgelegt werden. In der Etats- 
aufslellung kommen mehrere Aenderungen in den Ressortverhält- 
nissen der Ministerien Zum Ausdruck, deren Bedürfniß schon feit längerer 
Zeit hervorgetreten war. Die bedeutende Zunahme einzelner Geschäftszweige, 
die dadurch hervorgerufene übermäßige Belastung der betreffenden Ministerien 
und die Erwägung, daß gleicharlige Angelegenheiten richtiger unter gemein- 
samer Leitung zu vereinigen sind, haben dahin geführt, mit einer veränderten 
Eintheilung vorzugehen. Insoweit durch diese Veränderungen die ander-
	        
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